Roter Faden

Es gibt in den Beiträgen meiner Kehrwoche keinen Roten Faden, finde ich. Wann immer ich einen Vortrag halte oder ein Seminar gebe, dann fragen die Leute nach dem Roten Faden, oder besser gesagt, da ich das nicht mehr hören will, sorge ich dafür, dass sie das nicht fragen, indem ich mich bemühe, einen Roten Faden sichtbar zu machen (auch wenn es ihn eigentlich nicht gibt).


Vor zwei oder drei Wochen war ich auf einer Tagung, die von einer Rundfunksprecherin moderiert wurde. Sie stellte sich vor: "Ich bin ihr Roter Faden während dieser Tagung", was insofern glaubhaft war, als sie eine rote Jacke trug und ziemlich lang und dünn war. Dann hat sie allerdings nicht viel Fadenhaftes getan (was auch nicht nötig war). Trotzdem: Die Erwartung, dass die Leute einen roten Faden suchen, bestimmt die Erwartung aller, die sich öffentlich äußern.


Ich frage mich, woher das kommt. Denn das Leben ist doch alles andere als in solch einer fadenscheinigen Art strukturiert. Offenbar muss alles in eine lineale Ordnung gebracht werden... Und wenn man oft genug mit solchen Erzählungen konfrontiert worden ist, dann glaubt man offenbar, die Welt sei so geordnet.


Wenn ich an mein Leben in der vergangenen Woche denke, so war da - abgesehen von der zeitlichen Reihenfolge der Wochentage - nicht viel Rotfadiges (weder rot noch fad). Ganz im Gegenteil, ein Gefühl der Fraktionierung bestimmte meine Selbstwahrnehmung. Ich bin auf ganz unterschiedlichen Veranstaltungen an weit voneinander entfernten Orten (nicht nur in Deutschland) gewesen, wo ich Vorträge und Diskussionen und Beratungen und individuelle Gespräche geführt habe, die thematisch nichts miteinander zu tun hatten. Aufmerksamkeit fokussieren, den Rest vergessen, weiter, Neufokussierung - ganz gespannt im Hier und Jetzt.


Ich muss gestehen, dass das mit dem (fast lustvollen, auf jeden Fall irgendwie prickelnden) Gefühl des Kontrollverlustes verbunden war. Kein roter Faden, an dem ich mich lang hangeln konnte, kein Vorher und Nachher, das irgendeiner inhaltlichen Logik folgte. Ob das eine vor dem anderen oder umgekehrt erfolgte, kann ich nur anhand des Kalenders rekonstruieren, nicht weil die Dramaturgie der Ereignisse die Reihenfolge schlüssig in meinem Gedächtnis verzeichnet hätte.


Wahrscheinlich lebe ich normalerweise zu ordentlich... Das ist eine Einsicht, die gut an das Ende einer Kehrwoche passt.


Beste Grüsse, FBS