REVUE Nr 13, Transformation. Feedback zu Gilgamesh und Christeene 11

REVUE, Magazine for the next society. Transformation. Nr 13. Sommer 2013


REVUE Editorial:


„… Die REVUE ist ein Resonanzraum für all diese Stimmen, in dem immer wieder die Frage nachhallt: ist eine Next Society eher als Wiedereinführung verlorener Möglichkeiten zu verstehen – und weniger als deren Ablösung? Wir wären auch auf Ihre Antworten gespannt…“


Feedback


Ich beziehe mich hier auf diese „Wiedereinführung“ – zeichne einen in REVUE gespannten Bogen nach, um diesen – ihn inhaltlich ergänzend – mit einem Plädoyer zu beschließen, und damit sich verlierende, beinahe schon verlorene Möglichkeiten in Erinnerung zu rufen.


Der skizzierte Bogen


GILGAMESH, übersetzt von William Muss Arnolt 1901.


CHRISTEENE, skype-geviewt von Ludwig Plath (*Zitate)


X. Das Projekt der Moderne 1


Was ist nun das „Projekt der Moderne“, wenn es eines gäbe, und wenn man von nichtssagenden plakativen Slogans wie „Freiheit“ und „Gleichheit“ einmal absieht, und bei der „Brüderlichkeit“ die Schwester(n) nicht vergisst, aber sich doch fragt, wo und warum diese sich verbergen? Was vermissen wir?


„Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft, dass sie auch noch einer „Modernisierung“ bedarf. (...) Somit besteht hinreichend Anlass, den Begriff der Moderne aufzulösen in eine Festlegung auf etwas, das noch nicht erreicht ist.“

(Niklas Luhmann Gesellschaft der Gesellschaft 2, S. 1082)


Was ist noch nicht erreicht, welcher „Wert“ noch nicht erkannt, wenn wir mal davon absehen, dass „Gleichheit“ ein abstrakter Wunschgedanke ist, und Grade von „Freiheit“ nur an den Graden des individuellen Gefühls von Unfreiheit gemessen werden können?


Die Soziologie arbeitet mittels der Unterscheidung Wertgeltung/Kommunikation. Im Kontext der Kommunikation gesellschaftlicher Selbstbeschreibung, so Luhmann, wird damit eine DISTANZ zu den unmittelbaren Wertengagements in der Gesellschaft erzeugt, die es der Soziologie ermöglicht, sich innerhalb ihres operativ geschlossenen Systems am Netzwerk der eigenen Kommunikation auszurichten. Das eliminiert eine Position, die als „herrschende“ für alle sprechen könnte, führt zu einem logischen Strukturreichtum, der, wenn man ihn an traditionalen Erwartungen misst, als Relativismus und als Pluralismus beschrieben wird. (1123/1124)

Aber (...) das heißt nicht zuletzt: dass sich "neue Anforderungen an die Präzision von Beschreibungskonzepten ergeben, die es trotzdem ermöglichen, sich über Probleme und funktionale Äquivalenz zu verständigen und Meinungsverschiedenheiten zu erhalten, ohne dem BELIEBEN die Türe zu öffnen." (1126) (Hervorhebungen ST)


Wie ist diese "NEUE" Anforderung an die „Präzision von Beschreibungskonzepten“ zu verstehen?


Soziologische Beschreibung wird zur reflektierten Autologie (1128), das heißt, dass sich der Standpunkt des Beobachters auf eine Ebene zweiter, wenn nicht sogar dritter Ordnung verschiebt und die „so ist es“-Attitüde wird ersetzt durch ein Begriffsspiel, das an sich selbst Halt findet.

Die Selbstbeschreibung wird zum Thema der Selbstbeschreibung. (1132)


Zum "Selbst" der Selbstbeschreibung später.


Dass man sich hier, so Luhmann in einer bedeutsamen Fußnote, in der Beschreibung dritter Ordnung, auf eine Paradoxie einlassen muss, ist leicht zu erkennen, wenn man bedenkt, das Kontingenz durch Negation von Notwendigkeit definiert wird. Und ebenso deutlich wird, dass wir uns in einer supramodalen Spähre befinden, die einst ausschließlich für Gott reserviert war. (FN 1121)

Was nun Selbstbeschreibungen des Gesellschaftssystems angeht, also des Systems, das in sich selbst Beobachtungen erster und zweiter Ordnung ermöglicht, führt der Übergang von der ersten zur zweiten Ebene dazu, die Realität als kontingent, also auch anders möglich zu beschreiben. Hierzu die Fußnote: Kein Zufall, dass die These der Kontingenz zuerst in der Theologie formuliert worden ist, nämlich als Resultat der Bemühungen, Gott als Schöpfergott, also als Beobachter zu unterscheiden. Dabei bot jedoch der Gedanke an Gott als den Erstbeobachtet, der sich selbst nicht unterscheiden muss, um beobachten zu können, besondere Garantien, die aufgegeben werden müssen, wenn man die Position des Erstbeobachters mit normalen empirischen Systemen besetzt denkt. (FN 1122.)


Damit ist, soweit greife ich hier vor, ohne Mitdenkende bevormunden zu wollen, dem klassischen Erkenntnis-Subjekt der Moderne der Boden entzogen.


Für den Beobachter erster Ordnung endet die Selbstbeschreibung mit Angaben über invariante Grundlagen, über Natur und über Notwendiges, wobei heute der Wertbegriff, der Superunbezweifelbares symbolisiert, diesen Platz einnimmt. (1122)

Für den Beobachter zweiter Ordnung erscheint die Welt dagegen als Konstruktion über je verschiedene Unterscheidungen. Ihre Beschreibung ist infolgedessen nicht notwendig, sondern kontingent, und nicht in Bezug auf die Natur richtig, sondern artifiziell. Sie ist selbst ein autopoietisches Produkt. Dabei wird (und darin liegt die Autologische Komponente) die Differenz von notwendig/kontingent und von natürlich/artifiziell nochmals reflektiert und auf die Unterscheidung von Beobachtung erster und Beobachtung zweiter Ordnung zurückgeführt. (1122)


„Die Ambition einer gemeinsamen Grundlage, eines Grundsymbols, eines Abschlussgedankens muss aufgegeben – bzw, so Luhmann, der PHILOSOPHIE überlassen werden. Die Soziologie findet jedenfalls auf diesem Weg, nicht zu dem, was HEGEL „Geist“ genannt hatte. Sie ist keine Geisteswissenschaft.“ (1122 ).


Dieser Hinweis Luhmanns freut mich! Da meine Arbeits-Gebiete Wissenssoziologie und PHILOSOPHIE sind, finde ich nämlich sehr wohl auf diesen Weg, und zu dem, was Hegel GEIST genannt hatte. (Ich bin Niklas Luhmann für die notwendige diskursive Klarstellung und konstruktive Öffnung dieses Weges seit vielen Jahren dankbar.)


Entlang des in REVUE Nr 13 gespannten Bogens von Gilgamesh zu Christeene, habe ich, sozusagen anschlusssicher, die in REVUE angebotenen Möglichkeiten des transformierten „Subjekts“ skizziert - von seinen archaischen Anfängen in Uruk bis herauf zu seiner postmodernen Infragestellung durch Christeene®.


Ich habe skizzenhaft seinen diskursiven Weg mitvollzogen, den modernen „Tod Gottes“ beiseite gelassen, aber ihn mitgedacht bis herauf zum postmodernen „Tod“ und „Verschwinden“ des „Subjekts“- sowie dessen halbherziges Festhalten an seiner Machtposition mittels Camouflage. Ich beurteile letzteren Weg als eine Sackgasse, mit dem sachten Hinweis auf seine weiter bestehende Unvollendetheit.


Einen verstellten Weg kann man öffnen, wenn man weg reißt, was ihn verstellt. Man kann ihn jedoch auch bifurkativ, um das Hindernis herumführen, ihn in zwei Wege teilen, indem man die Ästhetik eines subversiven Dis-Kurses pflegt, der Zusammengehörendes wieder zusammenführt, was der notwendig (!) getroffene Unterschied trennt.


Dann hat man es zwar mit Paradoxien, Widersprüchen und Konflikten zu tun, aber diese entsprechen der doppelsinnigen Wahrheit - oder sagen wir der doppelten Kontingenz - und nicht deren einfältiger Verfälschung durch die Subsumption des notwendig eingebauten gegenseitigen Korrektivs. Man/frau nimmt damit nur weiterhin die Folgeerscheinungen wie Postmoderne und Feminismus in Kauf, statt sich Paradoxien, Widersprüchen und Konflikten offen zu stellen.


Als „Ästhetik der Geschlechter-Differenz“ (Aisthesis = Wahrnehmung) bezeichne ich die gegenseitige Selbst-Verständlichkeit der – allumfassenden - konditionierten Koproduktion zweier unterschiedener Geschlechter.


Was das bedeutet, wenn, ob und wie es um einen Hauch anders weiter gehen kann, interessiert mich persönlich mehr, als die Folgen verfahrener Beziehungen, ambivalenter Haltungen und misslicher Politiken hinein ins Chaos und das Gejammer (erster Ordnung) darüber auf höchstem Niveau. Wenn die Welt untergeht geht sie unter. Warum auch nicht?


Nachdem die Welt – bis ins winzigste Detail – unsere gemeinsame Konstruktion ist, können wir uns ausrechnen, warum sie untergeht. Aber mir ist mein individuelles Leben und meine Zeitqualität zu wertvoll, es (vorzeitig) diskursiv dem Untergang zu weihen, also interessiert mich, wie seine zwei superunbezweifelbaren einander reflektierenden und rekursiv manipulierenden Eigenwerte ihre Leben und ihre Zeit vertreiben wollen. Insofern geht das Feedback darüber hier noch eine kleine Weile weiter.