Repetitionen

Bei unserer Fallbesprechung heute hatten wir einen Fall, bei welchem sich im Genogramm über mindestens drei Generationen hinweg eine Asymmetrie im Paar zeigt. Das fängt ganz harmlos an, indem zwei der drei Töchter dieses Paares mit den Vornamen von Mutter und Großmutter ausgestattet werden, während dem Sohn der Vornamen des Vaters verwehrt bzw. erspart wird - je nach Deutung. Anders herum: der Vater darf sich mit seinem Vornamen im Sohn nicht verewigen. Der zeitliche Hintergrund dieser Familie sind die 1920er Jahre, der sachliche ist ein dörflicher Handwerksbetrieb, also ein "ganzes Haus" im alteuropäischen Sinne, und da wird auf derlei geachtet. (Unsere Erfahrung ist, daß in diesen Zeiten und auch noch später, zumindest, wenn es sich um ländliche Familien und/oder Familienbetriebe handelt, es einen entscheidenden Unterschied für die weitere Familiengeschichte macht, ob nur der Vater seinen Vornamen weitergeben kann oder ob dies auch auf der Seite der Mutter praktiziert wird).

In der nächsten Generation dann gewinnt diese Asymmetrie an Fahrt, der Ehemann ist deutlich jünger als die Ehefrau und vom sozialen Status her deutlich karger ausgestattet. In der übernächsten Generation setzt sich dies noch einmal verstärkt fort, der Ehemann ist nun nicht nur vom sozialen Status her in einer asymmetrischen Situation seiner Frau gegenüber, er ist auch aus einer Abhängigkeitsbeziehung heraus geheiratet worden. In der aktuellen Generation ist nicht abzusehen, daß es je zu einer Paarbeziehung kommen wird. Die Familiengeschichte wäre damit quasi versandet.


In der herkömmlichen Betrachtungsweise von Genogrammen würden diese Sachverhalte "mit einem Blick erfaßt" und als "Wiederholungen" etikettiert werden. Aber was ist damit gewonnen? Kann eine Generation das wiederholen, was ihr die vorherige vorgelebt hat? Sie kann das schon deshalb nicht, weil, in Anlehnung an Heraklit, man "nie zweimal in denselben Fluß steigt". Warum nicht? Weil von Generation zu Generation sich die Zeitverhältnisse ändern, "derselbe, 10 Jahre früher oder später geboren, würde ein ganz anderer geworden sein", sagt der Herr Göthe, und es ist ein Unterschied, ob die besagte Asymmetrie sich in den 1920er Jahren oder in den 1980er Jahren ereignet, ob der Hintergrund ein Geschäftshaushalt oder ein städtischer Angestelltenhaushalt ist etc. Kurz: Von "Wiederholungen" zu sprechen blockt das Denken ab, anstatt es anzuregen.


Was ist die Alternative? Man könnte zum Beispiel von der Formulierung ausgehen, daß die Akteure in einen Rahmen hineingestellt sind, der ihnen bestimmte Handlungen und Entscheidungen nahe legt. Wenn es dann zu der von der vorigen Generation vorgelebten Entscheidung kommt, dann handelt es sich um einen Akt der Wahl im Kontext alternativer Wahlmöglichkeiten. Aber es handelt sich um eine Wahl, die in einem anderen zeitlichen, sozialen und personellen Kontext stattfindet als die vorige Wahl und erst einmal für sich zu betrachten ist, bevor sie mit den Entscheidungen der vorherigen Generation verglichen wird.


Anders gesprochen: Spricht man von Wiederholungen, dann macht man aus den Akteuren Automaten. Spricht man von Rahmen, betrachtet man sie als Menschen, die Möglichkeiten haben - wie gut sie diese nutzen, ist eine andere Frage.