Regelmäßigkeit

Regelmäßigkeit des eigenen Verhaltens ist eine der Vorraussetzungen dafür, dass man von seinen Mitmenschen für ordentlich und zuverlässig gehalten wird. Sie ist aber auch mit Risiken verbunden, die nicht zu unterschätzen sind.


Die Vorteile bestehen, um das klar zu sagen, in erster Linie darin, dass andere Menschen beruhigt, d.h. nicht allzu häufig überrascht werden. Wenn man nicht will, dass sie dumme Fragen stellen oder sich ängstigen, sollte man besser kein unerwartetes Verhalten zeigen. Allerdings muss man dafür einen hohen Preis zahlen. Man gibt seine Freiheit auf und muss sich selbst disziplinieren. Weicht man von den Erwartungen ab, so gerät man in Erklärungsnot.


Ein Beispiel: Ein lieber Kollege von mir ruft jeden Abend seine Frau zu Hause (oder wo immer sie sich gerade aufhalten mag) an. Das ist ein Verhalten, mit dem sie rechnen kann. Eines Tages tut er dies nicht. Folge: Sie gerät in Panik, was ihm denn passiert sein könnte, sie alarmiert alle möglichen Leute, und es fehlt nicht viel, dass sie Polizei und Notarzt zu ihm schickt. Was war passiert? Er war vor, statt nach dem täglichen Telefonat eingeschlafen...


Wer seinen Lieben Sorgen ersparen und sich seinen individuellen Handlungsspielraum erhalten will, sollte derartige ritualisierte Verhaltensweisen meiden wie die Pest. Sich unberechenbar zu zeigen, ist ein Aspekt der Fürsorge für diejenigen, die sich um einen sorgen.


Warum schreibe ich das alles?


Es ist kurz nach Mitternacht, ich hatte den ganzen Tag viel zu tun, am Abend noch eine lange Sitzung. Ich bin nicht dazu gekommen, irgendetwas in dieses Weblog zu schreiben. Das habe ich nun davon, dass ich mich verpflichtet habe, hier jeden Tag was von mir zu geben... die Freiheit, ins Bett zu gehen, ist dahin (na ja...).


Zum Thema Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit noch eine Geschichte, die ich gerade in meinen mails gefunden habe. Eine Meldung aus der New York Times. In einem Verlag (nicht dem Auer Verlag), in einem Großraumbüro wurde fünf Tage lang nicht bemerkt, dass einer der Mitarbeiter (ein Korrektor) tot an seinem Platz saß. Er war schon vorher immer etwas still, kam als erster und ging als letzter. Der Unterschied zwischen korrigierend und tot da sitzen war offenbar kein Unterschied, der für die Kollegen einen Unterschied machte. Er als er am Wochenende auch noch an seinem Schreibtisch saß, sprach ihn eine Putzfrau darauf an, ob es ihm etwa nicht gut gehe. Er war - wie die Obduktion zeigte - bereits seit fünf Tagen tot, gestorben beim Korrigieren medizinischer Fachbücher.


Die Moral von der Geschichte: Wer als erster bei der Arbeit ist und als letzter geht, ist möglicherweise nicht fleissig, sondern tot. Und: Bei vielen Tätigkeiten ist es nicht wirklich wichtig zu arbeiten, wichtiger ist, dass man auf seinem Platz ist. Und: Berechenbarkeit ist nur in den seltensten Fällen ein Zeichen von Lebendigkeit.