Reflexionen (5)

Habe ich durch das World Café Treffen etwas gelernt? Kommen wir also zu den Ergebnissen auf der mentalen Ebene. Kopf. Mind.


Meine kognitive Landkarte vom World Café hat sich mit Leben gefüllt. Landkarten alleine ersetzen nicht die Erkundung des Geländes, aber sie können helfen, unterwegs die Orientierung zu bewahren. Wenn man außerdem noch einen Kompass zu Rate zieht, um die Karte auszurichten.


Es ist ja immer wieder spannend, die Passung zwischen Landkarte und Gelände selbst zu erleben. Zunächst habe ich meine World Café Landkarte aus der Lektüre des Buches heraus erstellt (jenes Buch, dessen deutsche Version im Herbst bei Carl Auer erscheinen wird, was wiederum der Anlass ist, dass wir hier zur Zeit überhaupt vor uns hin bloggen).


Vorab eine zusammenfassende Bewertung: Das Buch liefert eine detaillierte und zutreffende Karte. Ich kann es wirklich empfehlen. Anhand vielfältiger Beispiele aus Organisationen und Unternehmen werden die Inhalte anschaulich vermittelt und Ansatzpunkte für den Transfer in den beruflichen Alltag aufgezeigt.


Als zweiten Schritt würde ich die Teilnahme an einem World Café European Gathering empfehlen, denn auf diese Weise erhalten Sie eine Best Practice Erfahrung des World Café Prozesses. Sie können verschiedene Moderatoren des World Cafés erleben, ihr Vorgehen vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen, und auf diese Weise einen facettenreichen Blick auf World Café in der Praxis werfen und prüfen, mit welchem Stil Sie sich selbst am wohlsten fühlen. Also dann bis nächstes Jahr in Bilbao!


Zentraler Bestandteil der World Café Landkarte sind die 7 Gestaltungsprinzipien, die ich in einem der vorangegangenen Beiträge kurz skizziert habe: Den Kontext gestalten; einen einladenden Raum schaffen; Fragen finden, die bewegen; die Beiträge jedes Einzelnen würdigen; verschiedene Perspektiven in Kontakt bringen; auf Muster, Einsichten und tiefere Fragen hören und schließlich gemeinsam Erkenntnisse teilen. Wenn sie zusammenhängend berücksichtigt werden, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass das Gespräch einen erfolgreichen Verlauf nimmt. Wenn einige der Prinzipien nicht beachtet werden, dann sieht die Sache anders aus. Was natürlich für die Wirksamkeit der Prinzipien spricht.


Ein Beispiel: Mein erstes World Café habe ich vergangenes Jahr auf einem Symposium über Integrale Führung erlebt. Etwa 120 Menschen, überwiegend Berater, hatten sich getroffen, um über das Thema im Rahmen von Vorträgen, Workshops und in einem Plenum im World Café Format zu sprechen. Das Plenumsgespräch nahm einen guten Anfang. An die Fragen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich erinnere mich an anregende und interessante Gespräche, die über mehrere Runden verliefen und die eigene Sicht um zahlreiche Perspektiven und Impulse erweiterte. Ich musste 15 Minuten vor dem Ende der Veranstaltung aufbrechen, um meinen Zug zu erreichen. Bis dahin war nicht begonnen worden, die verschiedenen Dialoge im Plenum zusammenzufassen. Es gab kein Harvesting bzw. Zusammentragen der Ergebnisse. Allerdings hatten wir auf den Tischen zahlreiche Notizen hinterlassen. Später hörte ich von einem Kollegen, auch in der verbleibenden Zeit hätte kein Harvesting stattgefunden. In den Wochen nach der Tagung erfolgte kein weiteres Feedback. Hätte ich meine erste Erfahrung mit World Café zusammenfassen sollen, dann hätte ich vermutlich gesagt: Na ja, ganz nett, aber weder besonders bemerkenswert noch wirklich effektiv. Aus heutiger Sicht fällt mir auf, dass ein zentraler Bestandteil (nämlich die Ergebnisintegration) einfach gefehlt hat, und das hat sich für mich auf den Verlauf des Gesamtgesprächs negativ ausgewirkt. Frage ich mich außerdem, bei wem die zahlreichen guten Ideen aus diesem Gespräch schließlich gelandet sind und was mit ihnen passiert ist, dann beschleicht mich ein ungutes Gefühl von Ausgenutzt worden sein. Vielleicht war auch einfach niemand da, der die Arbeit der Ergebniszusammenfassung und -rückmeldung auf sich genommen hätte. Das wäre dann einfach nur eine verpasste Chance gewesen.


Als ich in der Vorbereitung des Gatherings im Internet nach Informationen über World Café gesucht habe, bin ich bei Wikipedia auf einen Beitrag gestoßen [http://www.org-portal.org/portal/artikel.php?did=372](http://www.org-portal.org/portal/artikel.php?did=372) in dem der Nutzen von World Café unter anderem wie folgt beschrieben wird: »Die Methode bietet besonderen Nutzen, wenn das Unternehmen, die Organisation Ergebnisse und innovative Vorschläge aus der Teilnehmergruppe ziehen will.« Sollte World Café also doch eine Methode sein, die es erlaubt, Menschen möglichst elegant und effektiv auszubeuten? Ich musste wieder an meine erste Begegnung mit World Café auf der Tagung über Integrale Führung denken und mein Gefühl wurde dadurch nicht besser. Eines habe ich aus dieser Erfahrung im Kontrast zu der Veranstaltung in Dresden gelernt: World Café ist nicht nur ein Bündel von Techniken. World Café ist maßgeblich durch die Haltung geprägt, aus der heraus Gastgeber die Gespräche leiten.


Wie kann man sich dieser Haltung annähern? In der Therapieausbildung bin ich vor vielen Jahren einem Modell begegnet, das sich mir seither immer wieder als nützlich erwiesen hat, wenn es darum geht, komplexe Interventionen zu analysieren. Darin werden vier geschachtelte Kontextebenen in Beziehung gesetzt (vgl. Ron Kurtz: Hakomi – Eine körperorientierte Psychotherapie). Lernt man eine neue Methode, dann eignet man sich zunächst einzelne Techniken an (Ebene 1: Techniken). Mit der Zeit lernt man, wann welche Technik geeignet ist, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Das ist der nächste Kontext: Die Strategie oder Methode (Ebene 2). Aber Methoden funktionieren nur auf der Basis einer tragfähigen Beziehung zwischen Berater und Kunde, zwischen Therapeut und Klient, oder wie immer man die beteiligten Partner ansprechen will. Die Beziehungsebene ist daher der nächsthöhere, -weitere oder -tiefere Kontext (Ebene 3). In der Art und Weise, wie die Beziehung zwischen den Partnern gestaltet wird, werden schließlich allgemeine Grundprinzipien sichtbar, welche die Haltung des Begleiters kennzeichnen. Das ist die vierte Ebene der Grundprinzipien. Man könnte auch von Grundwerten oder Organisationskultur sprechen.


Überträgt man dieses Modell auf die sieben Gestaltungsprinzipien von World Café, dann würde ich diese als in sich vernetztes System auf der Ebene der Strategie bzw. Methode ansiedeln. Einzelne Techniken wären dann beispielsweise besondere Formen des Harvestings, angefangen mit dem klassischen Sammeln und Clustern von Moderationskarten bis hin zu den verschiedenen Formen des Graphic Recordings oder Mind Mappings. Was hinter oder unter der Strategie liegt sprechen Juanita Brown und David Isaacs in ihrem Buch im Kapitel »The art of hosting« an. Die Kunst des Gastgebens. Hierin wird die Beziehungsgestaltung thematisiert und einige weitergehende Prinzipien angedeutet. Ich habe in den letzten Tagen die Gelegenheit genutzt und Juanita und David auf Grundprinzipien angesprochen, die dem World Café Prozess seinen Charakter verleihen. Sie seien darüber im Gespräch. Man hätte etwa 15 mögliche Kandidaten identifiziert, aber fünf Prinzipien seien in der engeren Diskussion. Eines davon hätte mit Begegnung im Sinne Martin Bubers zu tun, meinte David. Ein anderes mit Intentionalität. Ich selbst verwende auf dieser Ebene ebenfalls fünf Prinzipien: Einheit, Selbstorganisation, Achtsamkeit, Stimmigkeit und Begegnung. Mehr darüber in Kürze auf meiner Website [www.integraldevelopment.de](www.integraldevelopment.de). Die Entsprechungen waren verblüffend! Ich hatte das aufregende Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort den richtigen Menschen zu begegnen. Eine der Begegnungen im Rahmen des Gatherings, die gerade erst ihren Anfang nehmen. Und: Landkarten sind nicht statisch, sie entwickeln sich, werden geändert, ergänzt und erweitert.


Weshalb dieser Exkurs in die Tiefen der Haltung: Die Gestaltungsprinzipien alleine sagen noch nichts darüber aus, mit welcher Intention World Café eingesetzt wird. Sie können angewandt werden, um andere auszunutzen, oder sie können eingesetzt werden, um der inneren Weisheit von Einzelnen, Teams oder Organisationen zum Ausdruck zu verhelfen. Letztere ist die Haltung der World Café Gründer und des World Café Europe e.V. Aber nicht überall, wo World Café drauf steht, sind Werte anzutreffen, die langfristige Kooperation und Ko-Kreation fördern und den Beitrag zum Ganzen anzielen.


Um den Bogen zum Anfang dieses Beitrags zu schlagen und diesen Kreis zu schließen: Die Landkarte sind die sieben Gestaltungsprinzipien des World Cafés. Der Kompass entspricht den Grundprinzipien, die das Handeln ausrichten.


Und: Ja. Ich habe jede Menge gelernt.