Reflexionen (4)

Zu Beginn meiner Reflexion hatte ich angekündigt, die Ergebnisse des World Café Treffens in Dresden nach Verstand/Mind, Körper/Body, Herz/Heart und Seele/Soul zu gliedern. So wende ich mich nun dem Herzen zu und spreche mit dieser Metapher den interpersonalen Bereich an – Beziehungen, Rollen und Identität.


Das World Café Gathering hatte in Hinblick auf Netzwerkbildung und Beziehungsgestaltung im Vergleich zu anderen Tagungen und Kongressen eine unvergleichlich hohe Qualität. Die Gespräche führten vielfach zu persönlich relevanten Begegnungen mit Menschen aus allen Teilen Europas und der Welt. Der nachdrücklichste Eindruck besteht für mich darin, dass im Rahmen dieses Treffens viele neue Beziehungen entstanden sind und die Gespräche gerade erst aufgenommen werden. Was bei Tagungen normalerweise nicht im Vordergrund steht war hier integraler Bestandteil: Die Begegnung mit der am nächsten stehenden Person – mit sich selbst.


Der Begriff Begegnung kann dabei im Buberschen Sinne aufgefasst werden. Es geht nicht darum, andere möglichst freundlich zu manipulieren, um sie maximaler effizient für die Realisierung der eigenen Interessen einzusetzen. Es geht darum, sich auf eine Begegnung im Wesen einzulassen, zu deren Beginn nicht feststeht, worin das Ergebnis bestehen wird. Es geht darum, sich anrühren und verändern zu lassen und so gemeinsam einen Raum zu schaffen, in dem etwas Neues entstehen kann. In »Der Weg des Menschen« beschreibt Buber die einzelnen Schritte: Besinnung und Umkehr, Würdigung des individuell einzigartigen Beitrags (der besondere Weg), Entschlossenheit, bei sich beginnen, sich selbst vergessen, hier wo ich stehe. Sich selbst vergessen meint dabei, am Ende nicht sich selbst und die eigenen Interessen, sondern die Welt im Sinn zu haben und etwas beizutragen. Hochmut unterscheidet Buber von Demut genau in diesem Punkt: Entweder sich selbst oder die Welt letzten Endes im Sinn zu haben. »Hier wo ich stehe« meint schließlich die aktuellen Lebensbedingungen, die den Kontext für das persönliche Handeln bilden. Der Markplatz des Zen.


Es ist eine paradoxe Haltung, die eingenommen wird: Eine aktive Bereitschaft zum Nicht-Tun. Focussed surrender bzw. fokussierte Hingabe nennt der amerikanischer Aikido-Meister George Leonard diese Haltung. Juanita Brown schreibt im World Café Buch über »Kohärenz ohne Kontrolle«. Das ist eine andere Charakterisierung für die Art des Rahmens, den das Gathering in Dresden zur Verfügung gestellt hat. Durch bedeutungsvolle Fragen erhalten die Gespräche eine gemeinsame Richtung. Dabei nimmt die Bewegung, die entsteht, ihren Anfang in den Fragen, die gestellt werden. So bereitet miteinander sprechen das Handeln nicht vor, sondern *ist* Handeln. Selbsterkenntnis ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung für effektives gemeinsames Handeln. Gegenseitiges Vertrauen ist eine weitere Voraussetzung für Kooperation. Beides konnte in Dresden wachsen. Der Begriff »Geschäftsfreunde« hat für mich eine neue Bedeutung erhalten.


Ich bin gespannt, in welcher Form sich die Vision einer Kultur des Dialogs weiter konkretisieren wird. Die Tagung in Dresden war ein wichtiger Schritt für die Bildung eines europäischen Netzwerks von Anwendern des World Café Prozesses. Wenn dieses Gathering nächstes Jahr in Bilbao fortgesetzt wird, dann werden wir berichten können, auf welche Weise sich die Wellen von Dresden aus über Europa hinweg ausgebreitet haben.