Raucherecken - auch das noch!

Liebe Leserinnen und Leser,

mir fällt die besondere Ehre und Freude zu, nach Herrn Simons Buchwochen das normale Kehrwochengeschäft wieder aufzunehmen. Und es gibt wirklich und buchstäblich eine Menge Kehricht:


Nichtraucherschutz heißt jetzt die Devise, unter der nächstens den Rauchern per Gesetz das Leben schwerer gemacht wird. Seltene Einigkeit zwischen Bund und Ländern und unter den Ministerpräsidenten der Länder. Fast. Zwei lassen weiter debattieren über Festzelte, die Bochumer Eckkneipen und andere „kleine Ausnahmen“, darunter ausgerechnet Diskotheken, Schulen des Rauchens für viele Jugendliche und überaus feinstaubreiche Aufenthaltsorte. Ein wenig Rauchen soll’s in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen noch sein dürfen. Sonst ist Schluss mit lustig: Amtsgebäude, Bahnen, Busse, Hotels, Gaststätten und – Schulen! In Baden-Württemberg aber muss sich die Gesundheitsministerin Monika Stolz über ihre Kollegen aus der CDU-Fraktion und ihren Kultusministerkollegen Rau ärgern. Diese wollen unbedingt den Schulen mit Oberstufen weiterhin Raucherecken zugestehen. Ganz gegen die neue Lust an Grenzen und Verboten. Als gelernter Nichtraucher und gesundheitlich einigermaßen aufgeklärter Bürger habe ich dafür nicht (mehr) das mindeste Verständnis. Doch davon später.


Die eigene Raucherkarriere in Kürze: 1951 - Internat, strenge Hausordnung. 30 Minuten Ausgang in der Mittagszeit. Für Rauchen gab es Karzer, was es um so interessanter machte, vor allem in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten. Rauchen war in, auch wenn man damals dafür noch keinen Anglizismus hatte. Denn Rauchen war überall. Auf der Leinwand im Kino, auf Plakaten, in den Gasthäusern, auf der Straße. Männer – wer einer werden wollte, musste einfach rauchen. Rauchen war Erwachsen sein, Rauchen war Freiheit in einer Welt voller Unfreiheiten. Sucht? Kein Gedanke. Ich wollte ja nicht aufhören, als es mir ab 1953 die Schule nicht mehr verbieten konnte, weil sie hinter meinem Jahrgang lag. Mit dem Aufhören fing ich an, als ich 1957 zu Hause eine kleine Familie vor meinem Laster zu schützen hatte; denn dass das fürs Baby und für meine nicht rauchende Frau ungesund war, wusste ich genau, auch wenn es dafür noch keine wissenschaftlichen Belege gab. Wie einst Oscar Wilde habe ich mir daher immer wieder mit Erfolg das Rauchen abgewöhnt, also dummerweise immer wieder angefangen. Aber die Sucht hat ihre eigenen Gesetze: Ein wenig süchtig gibt’s nicht und sich rausschleichen zu wollen, erwies sich als frommer Selbstbetrug. „Ich kann jederzeit aufhören!“ „Ich muss nicht rauchen.“ Alles Schutzbehauptungen und verbale Dummheiten, von den geräucherten Waren, die sich länger halten, und anderen flotten Ironismen ganz zu schweigen. Erst 1968 kam die richtige Einsicht. Ich hatte erfolgreiche Beendigungsversuche hinter mir, mich nur immer wieder verleiten lassen. Dass das erfolgreiche Aufhören dem Umlegen des Schalters auf Aus vergleichbar ist, hatte ich schon gelernt. Jetzt musste noch die Unwiderruflichkeit des Entschlusses gefestigt werden: Nie mehr! Der Schalter bleibt für immer auf Aus! Was auch immer die Hirnforscher behaupten mögen: Ich habe den freien Willen, schließlich habe ihn mir an jener Stelle selbst bewiesen. Wie auch immer das mit den Schaltungen zwischen den diversen beteiligten Zentren meines Gehirns zusammenhängt, es muss ihn geben, meinen freien Willen aufzuhören, der Sucht aus eigener Kraft zu entrinnen. Ich hätte es ja sonst nicht geschafft.


Seitdem bin ich mir sicher: Das beste Programm fürs Leben ist, überhaupt nicht erst mit dem Rauchen anzufangen. Das spart viel Mühe und Geld, von der besseren Gesundheit ganz zu schweigen. Täglich dreißig Todesopfer unter den unfreiwilligen Mitrauchern und täglich vierhundert Tote aus Raucherkreisen allein in Deutschland sind Tag für Tag 430 starke Argumente dafür, erst gar nicht damit anzufangen. Und wer das verpasst hat, hat jetzt gute Gründe sofort aufzuhören. Ja, wenn es so leicht wäre! Es muss klick machen, sagen viele Raucherinnen und Raucher. Und sie warten darauf seit Jahren. Vergeblich! Das Klick mache ich als Raucher entweder selbst oder ich erlebe es vermutlich nie. So bleiben viele Raucher bei der vagen Hoffnung auf das Glück des Klick. Aber das ist wie mit dem großen Lottogewinn, nur umgekehrt: Mich wird es schon nicht treffen!


1988 war für meine Schule ein Schlüsseldatum. Bis dahin durfte in der kleinen Teeküche (mit Luftabzug) neben dem Lehrerzimmer geraucht werden. Damals begannen wir ein Projekt zur Gesundheitserziehung und es war für dessen Promotoren undenkbar, dass Lehrer im Haus weiter rauchen, während wir den Kindern das gesunde Leben predigten. Also war nach den Sommerferien Schluss: Rauchfreie Schule. Uwe Maahs hat damals seine neuen Fünftklässler eingeschworen, dass keines der Kinder im Laufe der gemeinsamen Schulzeit anfängt zu rauchen. Mit Erfolg: Am Ende musste er sein Versprechen einlösen und bei der Verabschiedung den ausgesetzten Preis entrichten, was er natürlich mit Freuden tat; denn was gibt es für einen Lehrer für ein schöneres Erfolgserlebnis, als inmitten einer nikotinsüchtigen Gesellschaft eine Insel des Nichtrauchens erhalten zu haben! Daneben kämpften viele Kolleginnen und Kollegen den täglichen Kampf ums Nichtrauchen, gegen die Flucht vom Schulgelände in Pausenzeiten, gegen massive Schwaden aus Mädchen- und Jungentoiletten, gegen heimliche Raucherecken hinter Hausecken und Büschen. Aber auch das eine wichtige Erfahrung: Manche Kolleginnen und Kollegen schlugen sich lieber selbst buchstäblich in die Büsche als sich mit den „Sündern“ anzulegen. Wie die berühmten drei chinesischen Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen! Doch mit Schonhaltung gibt es keine pädagogischen Erfolge. So war die rauchfreie Schule höchstens eine in Gänsefüßchen.


Außerdem: Als heiligen Ort für das erlaubte Darbringen der täglichen Rauchopfer an die Schutzheiligen der Zigarettenindustrie (Rauchen erhält bekanntlich Arbeitsplätze in Deutschland, ein Argument, das noch immer allen Unsinn legalisiert) hatten die Kolleginnen und Kollegen die große Kastanie an der Bushaltestelle vor dem Gymnasium festgelegt: Freier Rauch für freie Bürger im Rahmen der Erziehung zur Verantwortung. Nichts zu machen für uns Nachbarn: Die Raucherecke, legal dank entsprechender Beschlüsse der schulischen Gremien.


Die Zigarettenautomaten sind aus dem Straßenbild verschwunden, die strahlenden Westernhelden der Plakatwände von damals hat der große Manitu längst von dieser Welt abberufen. Bald dürfen Rauchwaren nur noch an Erwachsene, also wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger mit mindestens 18 Jahren, verkauft werden. Nach 12 Schuljahren machen demnächst die meisten Schülerinnen und Schüler mit kaum 18 das Abitur. Aber im Landtag von Baden-Württemberg, da sitzen noch ein paar Männer von altem Schrot und Korn. Mit welchen Argumenten sie die Raucherecken rechtfertigen wollen, war nicht zu hören. Die Mehrheit fand ihre (gewiss!) guten Gründe hinter geschlossenen Türen.


Vor 20 Jahren wusste man noch nichts vom Spiegelneuron, wohl aber von der guten Wirkung positiver Vorbilder. Bekanntlich orientieren sich Jüngere in ihrem Verhalten an dem der ein wenig Älteren. Auch unter diesem Aspekt müssten sie absolut out sein, die Raucherecken. Bleibt nur die Hoffnung auf einen allmählichen Paradigmenwechsel. Noch ist es ein Drittel der Erwachsenen, das da raucht. Vor zwanzig Jahren waren es noch wesentlich mehr. Erschreckend aber ist das frühe Einstiegsalter in die Droge Nikotin. Bei 12 Jahren liegt es nach Erkenntnissen der Gesundheitsforschung heute. Wenn in den Schulen nirgendwo mehr geraucht wird, entfällt ein wichtiger Anreiz.


Da kommt aber ein weiteres Problem hinzu: Wie geht man mit denen um, die das Verbot nicht achten? Bestimmt nicht, indem man die Augen verschließt. Und Bernhard Bueb mit seinem Hang zum „kurzen Prozess“ ist mir da ehrlich gesagt eher suspekt. Pädagogische Erfolge setzen die Bereitschaft zur Schwerarbeit voraus. Es kommt eine harte Zeit auf das Schulpersonal zu, bis die rauchfreie Schule in Deutschland flächendeckend Realität ist. Es geht aber nach meiner festen Überzeugung nur der konstruktive Weg, der auch ein Weg des langen Atems, der Nachhaltigkeit und der geduldigen Überzeugungsarbeit ist. Früh ansetzen, ein System der Rauchfreiheit vor dem kritischen Alter mit Aufklärung, Wertschätzung und positiver Verstärkung aufbauen, die Kultur des gesunden Lebens mit gesunder Ernährung und die Bereitschaft, auftretende Probleme (und Fälle) konstruktiv zu bearbeiten. Das sind ein paar Stichworte, wie es gehen könnte. Raucherecken sind bestimmt nicht das richtige Wegzeichen zur rauchfreien Schule. Daher gilt, falls die CDU im Lande Baden-Württemberg sich nicht doch noch eines Besseren besinnt, das Vertrauen in die Klugheit der Menschen in den Gremien der einzelnen Schulen, die es ja in der Hand haben werden, auf die Beibehaltung der Raucherecken zu verzichten, indem sie keinen Beschluss dafür fassen oder bestehende Regelungen suspendieren.


Freundliche Grüße an alle rauchfreien Schulen und jene, die es werden wollen, aber auch an alle rauchenden und nicht rauchenden sonstigen Gäste dieses ersten Kehrwochentages nach der kreativen Pause und die freundliche Einladung, mir und aller Welt die Meinung dazu zu sagen,


Horst Kasper