PTSD

Die Diskussion darüber, wie sich Trauma sinnvollerweise aus systemischer Sicht definieren lässt, die auf den letzten Seiten unter den Kommentatoren stattgefunden hat, finde ich hilfreich. Welche Vorher-nachher-Unterschiede beim Syndrom-Besitzer werden vom Diagnostiker beobachtet und so bezeichnet?


Meine Kritik am Trauma-Begriff hat zwei Hintergründe. Der eine hat mit den chinesischen Kollegen zu tun, über deren Arbeit ich gerade ausführlich informiert worden bin. Sie haben ein ziemlich schreckliches Bild von der Invasion westlicher Trauma-Therapeuten gezeichnet. So wurden Flugblätter mit den Symptomen verteilt, damit nicht jemand aus Versehen gar nicht merkt, dass er ein Trauma hat. Die Chinesen selbst haben auch interveniert und dabei ihre Aufmerksamkeit auf die Bewältigungsmechanismen fokussiert, die in der vor Ort bestehenden Kultur bereits vorhanden sind. Es gibt keine Kultur, die nicht in ihrer Geschichte mit "traumatisierenden" Ereignissen konfrontiert gewesen wäre, und daher haben alle ihre spezifischen Mechanismen entwickelt, kollektiv wie individuell mit ihnen umzugehen.


Dass es Sinn machen soll, Leute, die ein oder zwei Tage als Traumatherapeuten "ausgebildet" sind, auf Menschen aus einer fremden Kultur loszujagen, scheint mir nicht wirklich plausibel.


Bestätigt wird diese Sicht auch von den Nach-Tsunami-Erfahrungen in Sri Lanka, über die Ethan Watters in seinem Buch "Crazy like Us. The Globalization of the American Psyche" berichtet. Sie gehen in dieselbe Richtung.


Der zweite Grund, der mich kritisch gegenüber dem Traumakonzept "an sich" macht, ist seine Verwendung im Blick auf die Frühsozialisation (siehe "Survival-Tipps für Adoptiveltern"). Denn wenn man z.B. Kinder, die frühe Trennungen durchlebt haben, als traumatisiert betrachtet, so geht es im Umgang mit ihnen immer um die Behandlung von irgendwelchen "Narben" oder "Defekten" (was durch die verwendete Metaphorik nahe gelegt wird). Betrachtet man das, was da in früher Kindheit passiert ist, aber - andere Metapher - als Lernprozess, dann geht es ums Entlernen oder Verlernen oder Neulernen..., was weit weniger normativ ist, eine andere Dynamik suggeriert (=Umkehrbarkeit) und ein anderes Beziehungsangebot ermöglicht.


Außerdem scheint mir das Konzept Trauma die Bedeutung einmaliger Ereignisse zu wichtig zu nehmen. Systemisch gilt m.E.: Alles, was nicht wiederholt wird, wird nicht erinnert, d.h. ist vergessen...