Psychopathologie

Das meines Erachtens wichtigste Buch unter den Neuerscheinungen des Frühjahrs (nicht nur bei Carl-Auer) ist "Das System der Abweichungen. Eine Neubegründung der Psychopathologie" von Roland Schleiffer.


Ich kann nur hoffen, dass es in jeder psychiatrischen Fachzeitschrift besprochen wird. Denn nur so kann der Psychiatrie aus ihrer intellektuellen Beschränktheit heraus geholfen werden (obwohl ich Zweifel habe, dass ein Buch allein reicht - aber es könnte ein Anfang sein).


Das Problem der gegenwärtigen Psychiatrie und des Bio-Hypes, der durch die hübschen Bildchen von Scannern ausgelöst wurde, ist, dass die Phänomenbereiche "Organismus", "psychisches System" und "soziales System", die einer jeweils anderen Materialität zugerechnet werden müssen, ständig miteinander vermischt werden. Um eine Formulierung von Kurt Ludewig aufzunehmen: die "logische Buchführung" stimmt nicht. Psychische Phänomene können einfach nicht auf biologische Prozesse reduziert und zurück geführt werden. Und alle Symptome, die wir als Psychiater und Psychotherapeuten bei unseren Patienten wahrzunehmen meinen, sind erst einmal Phänomene, die dem Bereich der Kommunikation zuzurechnen sind. Ob sie dann als Resultat der Kommunikation und/oder der Kopplung von Kommunikation und biologischen und/oder psychischen Prozessen am besten zu erklären sind, ist eine zweite Frage.


All dies sind prinzipielle Fragen, die im psychiatrischen Alltag wie auch in der Forschung viel zu wenig gestellt werden. Roland Schleiffer macht hier einen Anfang.


Es ist nur zu hoffen, dass viele Menschen dieses Buch lesen (und das sage ich nicht primär als Verleger, sondern als Psychiater, der mit seiner Profession und den ihr anvertrauten Menschen - manchmal wie ein Hund, angesichts der Beklopptheiten, die da passieren - leidet).