Produktive Konflikte

Danke lieber Herr Kasper für Ihre ergänzenden Gedanken. Dass Eva Hermann sich nicht hat ins Bockshorn jagen lassen, rechne auch ich ihr hoch an. Ich hoffe nur sie kratzt die Kurve und hält sich nicht allzulange für ein Opfer. Falls sie das tut. Ich weiß es nicht. Wir sind ja immer auch Täter.


Ich frage mich jetzt, lieber Herr Simon, ob ich Ihre Frage an mich, anschließend an Ihren Beitrag vom 12.Oktober (Eva-Fans) einigermaßen zufrieden stellend beantworten konnte?

Ich habe noch einige Gedanken dazu. Die stelle ich aus Gründen der Aktualität jetzt noch hier vorne dran.


Was den guten Geschmack betrifft, möchte ich zu meinen Überlgungen hinzufügen, dass es zwar vielleicht für den, der sich angesprochen fühlt, schlechter Geschmack ist, anstößige Dinge direkt beim Namen genannt zu bekommen. Also zum Beispiel, wenn überzogener Individualismus zur Diskussion gestellt wird, und - im Sinne dessen, dass “Es trifft, was zutrifft” - nun seine aufgebrachten Reaktionen in ebenso treffendem Geschmack erfolgen.


Dass also Eva Hermanns Buch den betreffenden gesellschaftlichen Konflikt nicht produktiv aufgreifen konnte, sondern letztendlich daran beteiligt war, ihn destruktiv zu polarisieren, finde ich so gesehen schade.


Da mir diese Medienhypes total auf die Nerven gehen, sehe ich, dass die einzig richtige Antwort auf ein Buch ein Buch ist, das sich mit den aufgeworfenen Fragen und der Diskussion ihrer Wertigkeit profund auseinandersetzt. –


Ein Diskurs eben. Für mich kann es deswegen zum Beispiel gar nicht genug Bücher geben.


Es ginge also darum zu lernen die anstößigen Dinge und Tabus in einer Weise anzusprechen, die es allen Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren, jedoch mit der entsprechenden Differenziertheit, Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit, die es nicht so ohne Weiteres erlaubt, sich aus der Verantwortung heraus zu winden und sich den aufgezeigten Erfordernissen durch Umdenken und persönliche Veränderung (freiwillig!) zu stellen. Ich denke wir sind es, die in der Umwelt von Gesellschaft die Gesellschaft formen. Das Gesicht zu wahren gelingt nur, wenn man im Konflikt anerkannt ist.


Das ist auch eine Frage der Aussprache der Generationen - in der Umwelt der Gesellschaft.


Im gesellschaftlichen Konflikt betreffend die unaufgearbeitete, beziehungsweise schief gelaufene Bearbeitung der Vergangenheit des Dritten Reichs und seiner Folgen, auch in den Nachfolgern von Tätern und Opfern, stelle ich mir das ähnlich vor.


Die Nachfolgegenerationen von Opfern und Tätern sind meines Erachtens heute herausgefordert den schwelenden Konflikt in der Gegenwart zu analysieren und sich ihm, im Sinne eines produktiven Zusammenlebens, neu zu stellen.


Statt scheinheiligen Darbietungen wie NDR-Kündigung, Selbstgerechtigkeit von Kerner und Diskutanten, usw. zu liefern muss von uns eine differenzierte Diskussion gelernt und möglich gemacht werden. Subjektive Ängste, objektive Nöte, Ressentiments müssen zur Sprache kommen dürfen. Da führt meines Erachtens kein Weg daran vorbei, wenn man sich in einer Gesellschaft wirklich und wahrhaftig begegnen will.


Das Unbehagen, das ein unbearbeiteter Konflikt erzeugt wirkt sich so aus, dass Polarisierungen greifen und ein mieses Gesamt-Klima erzeugen


Die Herausforderung besteht meines Erachtens wie gesagt darin, den Konflikt anzuerkennen.


Konflikte sind ja meist uralte Konflikte, wenn man sie positiv wenden will, müssen beide Seiten einander zugestehen, dass sie getroffen sind und weiterhin davon betroffen sind. Das ist einfach nicht abzuleugnen. Wer denkt das einfach missachten zu können, um das Gesicht zu wahren, der irrt sich gewaltig. Nicht bearbeitete Konflikte ziehen weite Kreise, ziehen immer neue Konflikte nach sich. Das kann man allein an diesem Konflikt erkennen. Es ist eine Frage der reellen, klaren Auseinandersetzung und Aussprache innerhalb einer (nationalen) Gesellschaft, die sich die diversen Orte, die entsprechenden Rituale, die historische Aufarbeitung, aber auch die notwendige Unmittelbarkeit der Begegnung und Aussprache zugestehen und geben muss.


Das trifft deshalb natürlich heute erst recht auf die erweiterte Gesellschaft neu hinzukommender Menschen und Gruppen zu. Was die Nichtanerkennung der Konflikte und das andauernde Wegschauen erzeugt, zeigen diese ja. Sie sind durch die unbeobachtete, unbearbeitete und ungesteuerte und eines Tages plötzlich unerwünschte Zuwanderung entstanden. Konflikte die ihrerseits wieder daraus entstanden sind, dass man den alten schwelenden Konflikten nicht die Bedeutung zugesteht, die sie haben. Unbearbeitete, unbarbeitete Schuldgefühle führten zu unzuträglichen Ersatzhandlungen .


Ich denke dass Rechtsradikalismen oder Linksradikalismen gesellschaftliche Indikatoren sind, inwieweit vorhandene Konflikte durch Tabus unterdrückt werden oder unzureichend zur Sprache kommen.


Einen Konflikt zu erlauben, das heißt ihn anzuerkennen und offen anzugehen nimmt ihm die Spitze und erlaubt den Menschen, offen aufeinander zu zu gehen, einander angstfrei zu begegnen, eben weil sie in ihren Ängsten und Ressentiments zunächst einmal anerkannt werden. Mediation funktioniert ja so.


Es geht zwischen Menschen immer um Anerkennung und Zuhören und um das Einhalten von Gesetzen und das Einhalten von gemeinsam erarbeiteten Regeln des Anstandes, der Wertschätzung und des Zuvorkommens und gegenseitigen Entgegenkommens.

Können Sie mir in diesen Ansätzen zustimmen?


Jetzt die Gretchenfrage: können Sie es sich vorstellen ein Buch zu schreiben, quasi als Symmetriebuch zu „Tödliche Konflikte“, in welchem, wie dort zum Teil indirekt oder invers, die Regeln für produktive gesellschaftliche Konflikte erarbeitet, aufgearbeitet, beziehungsweise erfunden werden? Also mir schwebt da eine speziell auf gesellschaftliches Konfliktmanagement und gesellschaftliche Konfliktkultur abgestimmte, im Tenor unironische, im Detail durchaus liebevollironische Erörterung der dafür notwendigen erfolgreichen Einstellungen, Voraussetzungen und Einrichtungen?


Dinge, die es noch nicht gibt müssen wir nämlich erfinden und solange darüber schreiben, bis wir sie für realistisch halten. Herzliche Grüsse Sylvia Taraba