"Probleme"

Da ich in diesem Blog ja aus meinem Herzen keine Mördergrube mache und munter vom Leder ziehe, d.h. mich nicht scheue, bestimmte Menschen oder ihre Entscheidungen als, zum Beispiel, problematisch, idiotisch oder blöd zu bezeichnen, bekomme ich immer wieder verwunderte Rückmeldungen, wie ein Systemiker/Konstruktivist so etwas denken, sagen, ja, publizieren könne.


Beispiel: "Saetze wie “Das Problem der USA ist,…”, “Das ist halt das Problem…” oder “wenn eine Partei extremistische und schwachsinnige Positionen vertritt” versetzen mich immer wieder in Erstaunen und ich frage mich, wie man solche Aeusserungen mit einer systemischen und radikal konstruktivistischen Grundhaltung vereinbaren kann."


Mir scheint solch ein Statement Ausdruck der Missverstehens von Systemtheorie und Konstruktivismus zu signalisieren. Denn, wenn jede Aussage von einem Beobachter gemacht wird und dieser Beobachter immer bewertet (was unvermeidlich ist), dann ist die Konsequenz des radikalen Konstruktivismus, dass niemand für sich und seine Wirklichkeitskonstruktion (inkl der darin enthaltenen bzw. varausgesetzten Bewertungen) irgendeinen Absolutheits- oder Wahrheitsanspruch für sich und seine Aussagen reklamieren kann. Das heißt aber nicht, dass er sich irgendwelcher Wertungen enthalten sollte (oder könnte).


Ganz im Gegenteil: Er muss sich (als Konstruktivist) seiner eigenen Bewertungen bewusst sein, damit er sie nicht aus Versehen für Wahrheiten hält und um dieser vermeintlichen Wahrheiten willen anderen den Schädel einschlägt.


Wenn ich hier z.B. das Verhalten der USA als Problem bewerte, dann muss ich halt versuchen, etwas dagegen zu tun. Das ist für mich persönlich nicht so leicht, aber ich kann immerhin versuchen, andere aufzustacheln, eine Revolution anzuzetteln usw. ...


Aus wissenschaftlicher Sicht schaue ich stets aus einer Außenperspektive auf einen Gegenstand (z.B. die Weltgesellschaft, die USA, Obama, Chefs in Unternehmen). Aus dieser Perspektive kann ich sehen, dass "Probleme" auch "Lösungen" sind/sein können - für denjenigen, der etwas als Problem definiert, vielleicht auch für jemand anderen. Aber aus der Innenperspektive des Betroffenen (Mitglied des sozialen Systems) liegt es in meiner Verantwortung, aufgrund meiner eigenen Kriterien irgendein Phänomen als "Problem" oder anzustrebende "Lösung" zu definieren oder auch nicht. Das muss ich schon deshalb, weil ich sonst nicht handlungsfähig werde...


Konstruktivismus heißt nicht Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit, sondern Beobachterabhängigkeit von Aussagen. Und die Konsequenz ist nicht, dass es keine Wahrheiten mehr gibt, sondern dass man sich über sie einigen muss. In der Hinsicht bin ich persönlich durchaus bereit, in den Ring zu steigen - wohl wissend, dass meine Sichtweisen keinen größeren Anspruch auf Gültigkeit haben, als die irgendwelcher Kommentatoren (die mir eben manchmal als idiotisch erscheinen).


Und deswegen müssen wir uns halt drüber streiten....