Primitivdarwinismus plus Mechanik

Ich versuche ja mein ganzes Berufsleben lang herauszufinden, wie die Logik des Denkens und Fühlens von Menschen im Allgemeinen, meines eigenen Denkens und Fühlens, des Denkens und Fühlens von Psychotikern im Speziellen, und anderen Leuten - beispielsweise AfD-Anhängern - funktioniert.


Dabei war und ist mir dieser Blog eine Hilfe, die vorgebrachten Argumente ein wenig genauer zu studieren (Dank an alle, die mir hier in meinem Projekt Unterstützung haben zukommen lassen, indem sie sich hinreichend offen äußern).


Eine These (nicht mehr als eine These, das gebe ich zu) ist, dass das, was die Pegidisten und AfDisten treibt, eine Mischung aus einem falsch verstandenen Darwinismus (im Sinne von: "Der Stärkere überlebt", so dass es für die eigenen Enkel wichtig erscheint, möglichst "stark" zu sein - was, nebenbei bemerkt, keineswegs dem entspricht, was aus der Evolutionstheorie abzuleiten ist, denn was "Stärke", evolutionär betrachtet, ist/war, lässt sich immer erst retrospektiv entscheiden) und mechanischem Denken besteht. Das Ergebnis dieser Prämissenkoombination ist Angst vor "Überflutung" durch eine sich ungehemmt fortpflanzende Population von Menschen, die irgendwie weniger wert sind als man selbst (dabei wird zwar nur manchmal direkt rassistisch argumentiert - geile Nordafrikaner -, sondern mit den totalitären Ansprüchen des Islam, aber im Effekt macht das keinen Unterschied). Um diese Angst davor zu beherrschen, den (naturalistisch-biologistisch begründet) als unvermeidlich betrachteten Wettbewerb zu verlieren, wird auf mechanische (als "Realpoitik" deklarierte) Ideen zurück gegriffen, die mir aus einer Überflutungs-Metaphorik abgeleitet zu sein scheint (z.B. "Mauern" = "Staumauern" bauen).


Die Systemtheorie legt ja besonderen Wert auf die Reflexion der Funktion von Grenzen,  auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Innen-außen-Unterscheidungen. Insofern mag der Schutz der territorialen Grenzen zunächst zentral erscheinen. Doch inzwischen haben sich diese Grenzen ja de facto weltweit weitgehend aufgelöst und sie können sich nicht so ohne weiteres wiederherstellen und/oder aufrechterhalten lassen (außer in Nord-Korea vielleicht, aber auch dort nur, weil keiner rein will). Grenzen sozialer Systeme werden ja kommunikativ produziert, und auch die Biologie erhält ihre Bedeutung erst durch die Kommunikation und stellt lediglich eine, die sozialen Möglichkeiten limitierende, aber nicht determinierende Größe dar.  Inzwischen bestimmen andere Grenzen die Strukturierung der Gesellschaft und die Identität der meisten Individuen, Blut und Boden sind es bei den wenigsten.


Es scheint mir verwegen anzunehmen, man könne sich vor den gegenwärtig weltweit stattfindenden gesellschaftlichen, u.a. durch die neuen Medien hervorgerufenen Umbrüchen durch nationale oder gar nationalistische Massnahmen schützen. Zugegeben: Ich kann auch nicht sagen, wie man die gegenwärtigen Probleme der Welt lösen kann. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Versuch, eine soziale Einheit von ihrem Kontext zu isolieren, nie die Lösung bringt. Die Überlebenseinheit ist immer ein soziales System plus sein Kontext. Wenn wir jede der europäischen Nationen anschauen, dann gehört der Nahe Osten zu dem Kontext, den keine ungestraft wegdenken kann.


In der Problemanalyse der Mauerbauer - um diese Gruppe der Bevölkerung mit einem Schlagwort zu kennzeichnen - finde ich keinen Sinn für die paradoxen Effekte geradlinig-kausal gedachter, sozialer Interventionen, für die antagonistische Organisation sozialer Systeme, schon gar nicht irgendwelche Lösungsideen, die einer etwas komplexeren Problembeschreibung gerecht werden würden... Die öffentlichen Argumente der AfD-Politiker (FPÖ, Trump, PiS, Orban usw.) entsprechen diesem schlichten mechanischen Muster. Sie sind offenbar aber gerade aufgrund ihrer Schlichtheit anschlussfähig und versprechen Erfolg bei "dem" Volk.


Ich halte diese Prämissen-Kombination für politisch brandgefährlich.


Das Ergebnis dieses Denkens ist in Amerika zu beobachten, wo ja viele Entwicklungen - bei aller Unterschiedlichkeit der Kulturen und politischen Traditionen - ihren Anfang nehmen, die ein paar Jahre später dann auch zu uns über den Atlantik schwappen. Was droht ist m.E. die Entwicklung einer faschistischen Bewegung (dazu der angehängte  Artikel aus der ZEIT), weil denen, die im Moment die Konjunktur der Migrantenskepsis nutzen, um popelige Landtagswahlen zu gewinnen, das alles um die Ohren fliegen dürfte, weil sie das Gewaltpotential, das in diesem Denken liegt und sie frei setzen helfen, nicht unter Kontrolle haben bzw. behalten dürften. Es kann eine Eigendynamik entfalten, die bei mir pures Grauen auslöst...


Quelle: Alt-Right-Bewegung: Trumps rechtsextreme Freunde | ZEIT ONLINE