Praktischer Konstruktivismus

Nachdem nun so viele Kommentare um die Waage und den Konstruktivismus gekreist sind (…schade, dass sich niemand für die wissenschafts- und berufspolitische Thematik erwärmen konnte…), hier eine verbindende Frage (man sieht: ich hänge den Lösungen 1. Ordnung: „mehr desselben“ nach):


**Wie gewichtig (!) müssen Ereignisse (für wen?) sein, damit sie „Tagesschau“-relevant werden?**


Dabei ist „Tagesschau“-Relevanz natürlich nur **ein** Beispiel für die narrativen Konstrukte unserer Alltagswelt (bzw. hier: Medienwelt).

Bevor das aber so theoretisch klingt, der aktuelle Hintergrund:


In der heutigen (Di) Tagesschau kreiste nach dem üblichen Politiker-Wahl-Geblubber vieles um die beiden Flugzeug- und den Hubschrauber-Absturz.

(Griechenland, Kolumbien und – ich weiß schon gar nicht mehr wo: Afghanistan?).


So erschütternd das für Betroffenen Angehörigen sein mag: Mich interessiert, ehrlich gesagt, ziemlich wenig, wenn in Kolumbien ein Flugzeug abstürzt und wie viele Tote es gegeben hat. Jedenfalls nicht, solange nicht auch erwähnt wird, dass heute wieder einmal rund 100.000 Kinder verhungert sind. Und vieles andere auch nicht, was auf meiner inneren Waage viel bedeutsamer ist. (Meine Frau, u.a. Medienwissenschaftlerin, erklärt mir dann was mit „Neuigkeitswert“ und so – aber das ist natürlich keine **Antwort** sondern höchstens eine Variante der **Frage**.

Namlich: Warum hat der ca. 8756. Absturz irgendeiner Maschine irgendwo mehr Neuigkeitswert als der heutige Hungertod von Ali,…. ?? ).


Und das mit der Tagesschau ist natürlich hier nur ein „Aufhänger“: Noch mehr interessiert mich, wie wir eigentlich solche Abwägungen (!),Wichtigkeitsordnungen und Fokussierungen in unserer Alltagswelt vornehmen. Das mit den 100.000 Kindern/Tag (rd. 30. Mill/Jahr) ist sicher keinem Leser neu – aber, Hand auf´s Herz, wann tritt dies ins Bewusstsein, wann wird dies irgendwie handlungsrelevant?

Wie also schaffen wir es eigentlich, diese Kinder auszublenden (und das ist ja leider wieder nur **ein** exemplarisches Beispiel). Wie schaffen wir es, in einer scheinbar „normalen“ Welt zu leben – allen Absurditäten zum Trotz?


Dazu haben sich natürlich viele kluge Menschen geäußert – von ??? über mein Kultbuch der 60er: Berger & Luckmann „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ bis hin zu ??? .

Aber es ist nach wie vor **für mich** eine spannende Frage. Jedenfalls bilde ich mir ein, wenn ich mehr darüber wüsste, könnte ich manches bei meinen Studenten und Patienten besser verstehen – ebenso bei meiner Familie und natürlich auch bei mir selbst.

Für mich jedenfalls ist das überhaupt nicht theoretisch, sondern es betrifft mich **wirk**-lich.


Allerdings frage ich mich gerade selbstzweiflerisch: sollte ich ab morgen lieber weniger gewichtige und/oder ernste Probleme in die Weblog-Debatten werfen ??? (Zumal ich eigentlich zu den notorischen Optimisten gehöre…).