Populistisches  Argumentieren

Am Beispiel Matteo Salvinis, des italienischen Innenministers, kann man studieren, wie die Logik der Argumente von Populisten gestrickt ist. Er hat sich unmittelbar nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua zur Frage der Schuld geäußert. Sinngemäß sagte er: 1. Wir werden den Schuldigen finden, mit Namen und Vornamen, und für seine Bestrafung sorgen. 2. Die EU ist schuld, weil sie uns unangemessene Sparauflagen macht, so dass die Brücke nicht richtig gewartet werden konnte.


Beginnen wir mit dem zweiten Punkt: Der Schuldige wird externalisiert, d.h. es ist jemand Fremdes, ein äußerer Agent oder Feind, der schuld ist an internen Problemen. Solch eine Schuldzuweisung entlastet intern erst mal von eigener Schuld (die Partei Selvinis war lange Jahre - zu Zeiten Berlusconis - an der Regierung beteiligt), das mag der aktuelle Vorteil sein; aber sie verhindert, dass innerhalb des Systems über Änderungen nachgedacht werden muss. Geändert werden muss nur außerhalb etwas bzw. in der eigenn Beziehung zu den schuldigen äußeren Akteuren. Dass die EU sachlich nicht an der Verwahrlosung italienischer Autobahnen schuld ist, zeigt ein Blick auf die Fakten: Die EU hat 8,5 Mrd. Euro für derartige Infrastrukturmaßnahmen in Italien zur Verfügung gestellt, aber es wurde nur ein Bruchteil davon abgerufen, weil die italienische Bürokratie offenbar nicht in der Lage ist, (etwas bissig formuliert) die nötigen Formulare auszufüllen.


Zum zweiten Punkt, der mit Namen und Vornamen benennbaren Schuldigen: Hier findet eine Personalisierung des Problems statt. Es muss eine Person sein, die schuld an allen nur denkbaren Problemen ist, daher ist es - dieser Logik folgend - auch eine Person, die für die Lösung der Probleme sorgt (hier wahrscheinlich suggeriert: Salvini, der "Held"). Das ist im Positiven wie im Negativen die Zurechnung hochkomplexer, systemischer Wechselbeziehungen zu einem (oder auch mehreren) Akteuren, seinen Handlungen und Entscheidungen. Das reduziert die Komplexität auf eine schreckliche, auch dem verblödetsten Klatschblattleser "verstehbare" Art, hat aber nur begrenzt mit den tatsächlichen verwickelten Kausalzusammenhängen zu tun. Aber, wenn man jemanden lynchen kann, dann beruhigt das die Volksseele (wahrscheinlich sind deshalb Populisten auch immer sehr an der Todesstrafe interessiert).


Dass m.E. die Hintergründe für den lausigen Zustand italienischer Autobahnbrücken im System, d.h. konkret: in der Privatisierung von lebenswichtigen staatlichen Infrastrukturen, zu suchen ist, habe ich im gestrigen Beitrag darzustellen versucht. Dass dort Leute Entscheidungen treffen, denen man vorwerfen kann, dass sie die falschen Prioritäten gesetzt haben (z.B. Dividende statt Wartungsaufwendungen), ist sicher richtig. Aber man muss in Rechnung stellen, dass sie in einem profitorienterten Unternehmen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit solche Prioritätensetzung vornehmen.