Personalisierungen

Einer der interessanten Erfolgsmethoden des IS ("Islamischer Staat") besteht darin, das Bedürfnis nach Orientierung an Personen zu nutzen, statt abstrakte Programme zu verkünden (obwohl diese Leute das ja auch tun, wenn sie einen mittelalterlichen islamischen Dogmatismus predigen). Aber, es sind halt Prediger, die das verkünden, und mit Rauchverboten, der zwanghaften Verschleierung von Frauen, Abstinenz usw. kann man wahrscheinlich nur wenige Leute hinter dem Ofen hervor holen...

Wenn man aktuelle Bücher über den IS liest (z.B. Christoph Reuter: Die schwarze Macht. DVA), dann wird deutlich, dass diese Orientierung an Personen strategisch geplant ist, ja, und das scheint mir das Spannende, man bringt "Führer" ins Spiel, die es (noch) gar nicht gibt. Fiktive Personen, denen man bedeutungsvolle Namen gibt (z.B. Mohammed al-Golani oder Abu Omar al-Baghdadi), die - da es sich ja um Fiktionen handelt - noch niemand gesehen hat und um die auf diese Weise eine geheimnisvolle Aura entsteht. Und wenn dann ihr Ruf gefestigt ist, wird irgendjemand ausgeguckt, der zu diesem Namen zu passen scheint, und öffentlich als diese Person vorgeführt und etabliert.

Ich finde, das aus systemtheoretisch-konstruktivistischer Sicht höchst interessant: Personen werden stets sozial konstruiert, nur meint man meist, dies geschehe durch die Zuschreibung von Eigenschaften zu einem konkreten Menschen. Aber man braucht diese Menschen nicht wirklich, es reicht, wenn jemand sich bereit erklärt, Menge und Struktur dieser Eigenschaften dieser fiktiven Person zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass das Konstrukt nicht allzusehr durch widersprüchliche Signale verwirrt wird.

Wenn ich das richtig sehe, war Carl Auer einer der Wissenschaftler, die dieses Phänomen lange vor Entstehung des IS ausführlich beschrieben haben (die Literaturstellen muss ich noch raussuchen). Er war eben immer seiner Zeit voraus...