PER ASPERA AD ASTRA

Ich gebe zu: ein bißchen aufgeregt bin ich schon !

Klappt das auch alles mit meinem Rechner und dem ganzen System ? Ich bin in einer Wiege ohne Bordcomputer aufgewachsen.

Ohne bleibenden Erfolg bekämpfe ich seit Jahren meine Berührungsängste, die neue Medienwelt betreffend.

Für den Anfang heute habe ich einen Text vorgesehen, den ich vor ein paar Wochen schon vorbereitet habe.

Ich habe mir vorgenommen, in dieser – meiner – Woche ein paar Dinge anzusprechen, die mich berühren und bewegen, die mir sehr am Herzen liegen.

Da ich im Gesundheitswesen tätig bin (Pathologie und Neuropathologie) ist zu erwarten, dass meine Gedanken immer wieder von den Problemen „Tod und Krankheit“ eingefangen werden wie von einem seltsamen Attraktor.

Die erste Zeile meines Textes ist ein Zitat aus einem französischen Chanson von FAY LOVSKY: „Le champion des champignons.“

“Moi j’aime bien les champignons mais ceci – non !“

Zwar hat der Text des Liedes so direkt mit meiner Problematik nichts zu tun; aber irgendetwas gefällt mir an diesem Chanson und es kam mir – justement – in diesem Zusammenhang in den Sinn (also muß es einen Grund dafür geben).

Ich glaube, es ist diese trotzige Art des Vortrags; die spontane Bereitschaft, sich zu widersetzen. Man darf nicht alles akzeptieren, was einem vorgesetzt und aufgezwungen wird. Man muß sich widersetzen – auch dem Geist der Zeit muß man zuwiderdenken, wenn es die innere Wahrhaftigkeit verlangt.

Die Menschen in Frankreich sind da etwas mutiger als wir, wenn es gilt, sich zu wehren – und sei es auch einmal gegen den Staat. Vielleicht sind wir auch inzwischen entmutigt und resignieren schneller, da die Erfahrungen zu lehren scheinen, dass im Grunde sich nichts ändern lässt. (Die extrem niedrige Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen in Hessen deutet jedenfalls darauf hin: Politikverdrossen.)

Aber das ist ganz gewiß nicht so !

Jeder kann dazu beitragen, dass sich die Verhältnisse ändern: Man muß die Dinge anders denken und sich bemühen, die Diskrepanz zwischen Denken und Tun so klein wie möglich werden zu lassen.

Doch nun zu meinem phantastischen Reisebericht. Diese Karte: „Road Map“ von Saul STEINBERG fiel mir vor mehr als vierzig Jahren einmal in die Finger; ich glaube es war 1962, als die deutsche Ausgabe des Buches „The Labyrinth“ in der ZEIT besprochen wurde.

Immer wieder einmal kam mir diese Zeichnung in den Sinn und ich versuchte, meinen Standort in diesem Nirgendwo-Land zu bestimmen. Ob mir dies heute mit einem GPS- oder Navigationsgerät besser und schneller gelänge ? Mir bliebe wahrscheinlich keine Energie mehr, ein Ziel zu verfolgen, da der ungleiche Kampf gegen die Technik meine ganze Kraft erschöpfte.

Nun gut: PER ASPERA AD ASTRA !


„Moi j’aime bien les champignons – mais ceci - NON!“

Phantastischer Reisebericht aus dem Land der Träume

(mit autobiographischen Zügen)

„Die Person, die Sie am wahrscheinlichsten töten wird, ist kein Einbrecher oder Räuber, auch kein geistesgestörter Triebtäter oder ein betrunkener Autofahrer. Die Person, die Sie am wahrscheinlichsten töten wird, ist ihr eigener Arzt.“ VERNON COLEMAN


(Hier wollte ich eigentlich ein Bild von dieser "Road Map" unterbringen; aber ich kriege das nicht hin !)


(Saul STEINBERG)


Ich wuchs auf in einem unwirtlichen Waldgebiet zwischen MEDIOCRITAS und TIMOR DOMINI; es war das Woodland of Weir – so zumindest stell ich’s mir vor. Der tägliche Schulweg nach MEDIOCRITAS war beschwerlich; doch hatte der Abstand auch etwas Positives.

Früh war ich der Faszination der Technik erlegen: Ich wollte Lokomotivführer werden. In meinen Träumen fuhr ich eine Dampflok der Serie 01. Etwas später wollte ich mehr: Ich wollte Technisches nicht allein nutzen oder beherrschen; ich wollte die Technik selber aus dem Nichts heraus schaffen, konstruieren und entwerfen. Mein Traumberuf war jetzt für einige Zeit Architekt. Ich erdachte seltsame, durchweg nutzlose Gebilde.

Dann fiel mir eine alte Karte in die Hände, so ähnlich wie eine Karte zur Wiederentdeckung eines alten vergrabenen Schatzes. Wahrscheinlich aus dem Nachlass einer Seeräuberbande: „Oh Himmel --- strahlender Azur !“ hatten sie gesungen.

„PER ASPERA AD ASTRA“ hieß die Karte: Road Map – mit eingetragenem Nordpfeil. Kartenlesen wurde mein Steckenpferd. Wohin sollte ich mich wenden ? Wer will in jungen Jahren nicht zu den Sternen ? Also machte ich mich auf nach ASPERA: Studium der Medizin. An der Abzweigung rechts nach TIMOR DOMINI war ich vorübergezogen. Durch das kleine schmucklose Dorf VERITAS war ich des Nachts hindurchgegangen, ohne die Schönheit dieses Ortes zu bemerken. In ASPERA träumen die Menschen von schöneren Städten, von ARS oder PULCHRUM. Und man findet Trost in der Überzeugung, dass eines Tages, wenn man alle Mühen der Ausbildung auf sich genommen; dass man sich dann in PROSPERITAS vorübergehend niederlässt, um anschließend nach gar nicht so langer Zeit in PULCHRUM zu wohnen und in PAX zu sterben. Nun, die wirklichen Wanderungen verlaufen meist ganz anders, nicht nach Plan jedenfalls.

Ich war Arzt geworden, weil mir diese Tätigkeit als die sinnvollste erschien in einem Land wie diesem, wo niemand genau zu sagen weiß, woher die große Straße aus dem Westen kommt, wohin die Bahnlinie die Reisenden bringt; und niemand ist bisher zurückgekehrt von einer Reise auf dem großen Strom, der an MEDIOCRITAS vorbei nach Norden fließt. Auch MUNIN und HUGIN, die beiden Raben, welche eines Nachts den Fluß heraufgeflogen kamen, hüllen sich in Schweigen, wenn man versucht sie auszufragen nach dem WOHER und WOHIN.

Doch wo sollte ich mich niederlassen und praktizieren ? CARITAS wäre sicher der beste Ort gewesen, aber die Neugier trieb mich zunächst weiter in andere Städte. Die größte Anziehungskraft besitzt die Metropole des Landes: PROSPERITAS. Ein großer Tempel in der Mitte der Stadt lockt die Bewohner in seine Mauern: Viele kommen nicht wieder ! The Worship of MAMMON verwandelt die Betenden wie das Heilige Feuer.

Hier opfert man alles, was man hat, um die Götter milde zu stimmen; das kostbarste Gut – die Seele – wird dargebracht im Allerheiligsten, denn die Götter handeln damit und würfeln darum.

Hier gibt es viele frei praktizierende Ärzte aller Fachrichtungen. Eine Marktlücke schien mir das Fach IATROGENE Medizin. Ich hatte mich schon während des Studiums intensiv mit der Lehre von der Erzeugung der Krankheiten durch den Arzt auseinandergesetzt.

Eine derartige Praxis ist eine wahre Goldgrube: Von der praktischen Umsetzung dieser Lehre lebt das ganze System.

Mein Herz galt schon sehr früh der Pathologie; ich hätte mich also auf die Pathologie iatrogener Erkrankungen spezialisieren können; doch fand ich bei der Suche nach geeigneten Praxisräumen im Stadtzentrum nicht die erhoffte Unterstützung der Gesundheitsbehörde. Außerdem wollte ich mich noch etwas umsehen in diesem unserem Land, bevor ich endgültig sesshaft und unbeweglich würde.

Im Osten der Stadt folgte ich der Highway 61 nach SANITAS. Ein Ort, in dem zu leben sich nicht lohnt. Die Menschen dort sprachen nicht meine Sprache. Sie hatten kein Geld und litten große Not; an Gesunden kann niemand etwas verdienen. Eine Pathologie gab es dort auch nicht und ich zog schnell hindurch, um mich nicht anzustecken. Hier droht an Langeweile alles zu erstarren. Die Menschen sehen schon zu Lebzeiten aus wie die Mumien ihrer selbst. Nichts wie fort – weiter nach Osten: EXITUS war mein Ziel.

Hier gefiel es mir schon besser. Eine Fülle von Möglichkeiten bot sich mir. Die Stadt und ihre Menschen waren beseelt von einem Gedanken: Wir wollen gut leben – und wir wollen gut sterben ! Über dem Portal des zentralen Sackbahnhofs war in goldenen Lettern zu lesen: „Hier war ich Mensch ! Hier geh’ ich ein !“ Was ich allerdings dann am Marktplatz erkundete stimmte mich doch – ich war fast am Verhungern und Verdursten – nachdenklich. Ich habe darüber schon einmal an anderem Ort berichtet. Und ohne einen Bissen anzunehmen, verließ ich noch in derselben Nacht die Stadt; ich floh zu Fuß.

„Les grands médecins sont décidément très bizarres, me disais-je en moi-même durant mon voyage.»


Meine Flucht gelang – nordwärts. Ich geriet in weglose Wüsten, östlich vom blauen Fluß. Hier erfuhr ich ein paar wichtige Dinge:

Menschen sind geistige Wesen.

Sie nähren sich auch vom Licht, wie die Bäume. Sie wurzeln im Licht und tragen die Bürde des irdischen Lebens wie eine Frucht.

Es gibt Bereiche des menschlichen Daseins, welche keine Unwahrhaftigkeit vertragen: Orte der Wahrheit, frei von Lug und Trug. Diese Orte der Begegnung sind die Tempel (für die Berührung des Göttlichen) und der Weg der Passion mit seinen Leidensstationen (für die Wahrnehmung des Anderen in seinem Leid). In der Beziehung zu Gott kann es keine Lüge geben.

In gleicher Weise würde die Beziehung des Arztes (der diese Bezeichnung verdiente) zu seinen Patienten in Not durch jede Art von Unwahrhaftigkeit zerstört. Wer heilen möchte, muß sich des bedingungslosen Vertrauens der Kranken sicher sein.

Ein echtes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bedarf keiner vertraglichen Absicherung. Ich denke nicht an Kaufverträge mit Rücktrittsklauseln wenn ich in meiner Not einen Arzt aufsuche.

Daß ein Autohändler danach strebt, möglichst viel an mir und meinem Auto zu verdienen, entspricht den Regeln der wirtschaftlichen Beziehungen. Im Wirtschaftsleben hat man sich daran gewöhnt: Man wird mit völlig unsinnigen und unrealistischen Versprechungen betört und umworben; man wirbt oft mit dem, was das zu kaufende Produkt zerstört. Man wird dazu gebracht, etwas zu kaufen, was man eigentlich gar nicht möchte und auch gar nicht braucht. Die Herstellung völlig überflüssiger Produkte lohnt sich immer, wenn das Bedürfnis nach ihnen relativ leicht zu erzeugen ist.

Es ist wie Kurt Tucholsky es beschrieb: Es muß produziert werden, um die hohen Werbungskosten wieder einzufahren; und diese hohen Kosten für die Werbung müssen sein, um das Produkt überhaupt an den Mann zu bringen. Das wichtigste in diesem Zusammenhang ist der Umsatz und die Wachstumsrate.

Im Originaltext von Kurt TUCHOLSKY heißt es:

„’Kokmès’ ist ohne jede schädliche Nebenwirkung, weil es überhaupt keine hat. Wir fabrizieren es nur, um die hohen Anzeigenpreise wieder hereinzubringen, und wir inserieren, um fabrizieren zu können. Und so symbolisieren wir, was uns am meisten am Herzen liegt: die deutsche Wirtschaft -!“(p. 101)(Peter Panter; 1927)

Auf die Medizin übertragen hieße dies: Wir brauchen mehr Kranke und auch mehr Krankheiten ! Die Patienten (die Kunden im Leid) müssen immer häufiger und mit immer wieder anderen und neuen Krankheiten durch den Maschinenpark der Gesundheitstempel gejagt werden, auf dass die Krankheitsmühlen nie zum Stillstand kommen. Wir brauchen eine höhere Krankheitswachstumsrate (KWR); Erfolg verspricht eine neue Spezialistentruppe für die Erzeugung und Definition neuer Krankheitsentitäten.

Wolle möglichst viel verdienen, ohne groß zu schaden ! So heißt die neue, etwas modifizierte Hippokratische Doktrin: besser denn je ! Wenn das so einfach wäre, wie die Marktstrategen sich das denken !

Wenn ich einen Arzt aufsuche – leidend – möchte ich nichts kaufen; ich möchte ihn bitten, mir zu helfen und meine Not zu lindern, so gut es eben geht. Das ist eigentlich alles. Und wenn ich wittere, dass dieser Arzt ganz andere Interessen verfolgt; dass er überlegt, welche Krankheiten er mir anhängen könnte, um möglichst viel an mir zu verdienen; wenn ich diesen Verdacht nicht loswerden kann, geh ich lieber wieder weg – wenn ich noch kann – krank wie ich kam.

Die Einführung des Wettbewerbs in das Gesundheitswesen, die Realisierung marktwirtschaftlicher Prinzipien wird das kränkelnde System nicht retten können; es wird den Niedergang der Krankenfürsorge nur noch beschleunigen. Der Versuch, das System zu kurieren, vernichtet es ganz und die Narren feiern dies noch als Triumph !

Angeblich würde alles getan nur für die Patienten, nur ihr Wohl stünde im Mittelpunkt aller Bemühungen. Doch wird die Aufmerksamkeit der vielen Funktionäre des Systems so sehr von den Abläufen der großen Gesundheitsmaschine in Anspruch genommen, dass wahrscheinlich das Fehlen der Kranken zunächst gar nicht bemerkt würde. Die Leidenden werden jetzt schon eher als störend empfunden.

Ein optimales Wirtschaftssystem weckt Bedürfnisse, die es dann gewinnbringend zu befriedigen sucht.

Ein optimales Gesundheitssystem nach diesem Muster induziert krankmachende Gesellschaftsprozesse, um die Opfer dann mit Profit zu behandeln.

Ich bleibe dabei: Lohnkunst und Heilkunst sollten nicht miteinander verknüpft werden. Die Zielvorstellungen eines Arztes und eines Wirtschaftsmanagers liegen auf so sehr verschiedenen Ebenen, dass ein harmonisches Zusammenarbeiten unmöglich erscheint.

In CARITAS, einer alten von einer hohen Mauer umgebenen Stadt aus dem späten Mittelalter, hat man aus der Erkenntnis der Unvereinbarkeit der Grundsätze von Gesundheitshändlern mit jenen der Jünger des Asklepios vorsichtige Konsequenzen gezogen: Man hilft einander und fragt nicht nach dem Lohn. Und doch hungert hier niemand. Es gibt zwar keine Paläste mit goldenen Krügen; aber es gibt auch keine Obdachlosen, welche mitten in der Stadt erfrieren oder verhungern oder an heilbaren Erkrankungen versterben.

„You may say I’m a dreamer

But I’m not the only one

I hope someday you’ll join us

And the world will live as one.”

Eines Tages vielleicht werde ich mich wieder auf den Weg machen: Nach ASTRA ! Ich weiß nicht, wie es sein wird, auf den Sternen. Viele sind aufgebrochen auf den Weg dorthin; die meisten haben die Abzweigung rechts ab durch ein karges Heideland verpasst und sind geradeaus weiter AD STERCUM gezogen und sind hier stecken geblieben. Hier wieder herauszukommen, fällt auch den fest Entschlossenen schwer. Es bedarf einer geradezu übermenschlichen Energie; denn vordergründig ist es hier sehr schön; doch merkt man schon bald: Es stinkt hier alles zum Himmel !

Bisher ist keiner aus ASTRA zurückgekehrt um zu erzählen, wie es dort ist; alle sind sie dort geblieben, haben vielleicht alle Mühsal von früher vergessen und verspüren nicht mehr den leisesten Wunsch, noch einmal fortzugehen, zurückzukehren, und sei es auch nur, um den anderen davon zu berichten: von ASTRA und dem Leben in der Wahrheit des Lichts; oder von einem Land, wo der Geist weht, wo er will; oder von Shambala, vom Großen Geist ...oder von der Gemeinschaft der Heiligen ...oder ...

Doch: Einer kam zurück, um zu berichten – von ASTRA: Gautama Buddha, der Prinz Siddhartha.

„Was uns trifft, entspringt dem Denken,

geht aufs Denken stets zurück.

Was uns trifft, quillt aus dem Denken,

Denken regelt das Geschick.

Wenn wir, reinem Denken dienstbar,

Worte schufen oder Taten,

folgt das Glück dem Weltenlaufe

und bleibt treu wie unser Schatten.“

DHAMMAPADA (2.)


Mögen alle, die sich in wegloser, schrecklicher Wildnis finden –

Die Kinder, die Alten, die Ungeschützten, die Umnachteten -,

Von gütigen Himmlischen beschützt werden.


Für heute verbleibe ich - mit herzlichen Grüßen Ihr Jürgen Bohl

(Ich muß noch viel lernen.)