… new kid on the blog

Mit etwas gemischten Gefühlen habe ich - nach anfänglicher Begeisterung - diesem Moment entgegengesehen, in dem die Rolle des Blogschreibers an mich übergeht (Hallo, Thomas Siefer - ich bin's also - und ich würde wie Sie auch begrüßen, wenn der Verlag schon mal ankündigen würde, wer noch so alles auf der "Blogwart"-Liste steht. Andererseits ginge dann aber auch der Überraschungseffekt verloren, der ja seinen eigenen Charme hat - wie das Weihnachtswichteln).


In seiner Einladung zur Mitwirkung an diesem Blog schrieb Fritz Simon im Frühjahr den Autoren: "Im schlechtesten Fall hat jeder, der sich da bereit erklärt, für eine Woche der Welt seine intimsten Gedanken mitgeteilt, und die Welt hat sich nicht darum geschert; im besten Fall werden Kontroversen angestoßen, die Aufmerksamkeit auf systemisches Denken und Beobachten, den Autor und seine Bücher (und natürlich auch ein wenig auf den Verlag) richten".


Ich werde versuchen, den schlechtesten Fall schon dadurch zu vermeiden, dass ich meine "intimsten Gedanken" für mich behalte (mit dem Vorteil, dass auch niemand gezwungen wird, sich nicht drum zu scheren). Der beste Fall ist damit natürlich auch noch längst nicht eingetreten - auch wenn der Verlag mittlerweile, und sicherlich zu Recht, seine Aufmerksamkeit schon bekommen haben dürfte (ein Dankeschön an dieser Stelle daher nicht nur an die Verleger, sondern vor allem an das engagierte und nette Mitarbeiterteam).


Erfreulich ist in jedem Fall aus meiner Sicht, dass das Internet auch in der systemischen Szene hierzulande allmählich als Kommunikationsmedium beachtet und genutzt wird - von einigen Wenigen offensiv und begeistert, von den Meisten wohl eher zurückhaltend und skeptisch, von Manchen vielleicht manchmal auch etwas verunsichert und ängstlich. Dies gilt wahrscheinlich erst recht in Bezug auf das neue Medium der Blogs, wenngleich es in den vergangenen Jahren zunehmend bekannter geworden ist, spätestens, als durchsickerte, dass die Präsidentschaftskampagne von Howard Dean im demokratischen Lager ihre Unterstützung und ihren Erfolg im Wesentlichen den zahlreichen Internet-Blogs verdankte, auch wenn dieser letztlich gegenüber John Kerry das Nachsehen hatte.


In den USA, und auch anderswo, ist also das Bloggen als Mittel der politischen Kommunikation schon ziemlich vorangeschritten - und wenn man sich den Grad der Gleichschaltung in den US-amerikanischen Massenmedien vor Augen führt (der wahrscheinlich selbst die sowjetische Nomenklatura hätte vor Neid erblassen lassen - angesichts der zwanglosen Übereinstimmung von Wahrheitskommunikation und für wahr halten beim großen Publikum), kann einem das schon als eine neue - und sehr intelligente - Form zivilen Widerstands erscheinen: Widerstand gegen eine sich in Echtzeit synchronisierende und mögliche Unterschiede sowohl in den gewählten Themen wie den artikulierten Meinungen zunehmend auflösende, also Komplexität vernichtende Kommunikationsmaschine, in der es kaum noch wirkliche, d.h. persönlich haftende Absender gibt und die Addressaten nur noch als Zielgruppen mit jeweils spezifischem Kaufverhalten angesprochen werden.


Insofern erscheint mir die ironische Aussage im einem amerikanischen Dictionary, das mit dem neuen Apple-Betriebssystem mitgeliefert wird, nicht mehr ganz aktuell zu sein, dass nämlich Weblogs von "twenty-something Americans with at least an unhealthy interest in computers" betrieben würden.


Ob mein Interesse an Computern ungesund ist oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen (in meiner Familie ist man da geteilter Meinung). Ich glaube aber, dass wir heute nicht mehr an diesen neuen Technologien vorbeikommen. Zum einen, weil sie mittlerweile viel preiswerter und komfortabler sind als noch vor 10-15 Jahren. Als ich für den Weltkinderschutz-Kongress 1990 in Hamburg (mit 2.000 Teilnehmern) als Kongress-Sekretär arbeitete, hatte ich 16 (!) vollgestopfte Aktenordner auf meinem Schreibtisch stehen. Den EFTA-Kongress in Berlin 2004 (mit 3.500 Teilnehmern) bereiteten wir (von den ohnehin notwendigen persönlichen Sitzungen einmal abgesehen) fast ausschließlich per e-Mail vor, zugegebenermaßen mit Abstufungen in der Virtuosität der Technik-Handhabung bei Beteiligten, Referenten und Teilnehmern - aber es funktionierte letztlich wunderbar. Auch wenn man im fortgeschrittenen Alter meist nicht mehr ohne Weiteres in der Lage sein dürfte, sich in die technischen Grundlagen des Internet einzuarbeiten, ist dies im Unterschied zu früher also längst kein Argument mehr gegen seine Benutzung wie andere geläufige Kommunikationsmittel.


Ein Hauptgrund dafür, das Internet nicht nur zu konsumieren, sondern aktiv zu nutzen, scheint mir aber darin zu liegen, dass wir es diese Kommunikationsform nur so vor der auch hier drohenden Gleichschaltung und Kommerzialisierung retten können. Die Auseinandersetzungen der Zukunft werden nicht nur um Religion oder Wasser geführt, sondern sicher auch um die Freiheit der Information. In einer Gesellschaft, in der nicht nur menschliche Gene, sondern zunehmend auch geistige Produkte patentiert werden sollen, in der man sich schon jetzt in Bezug auf viele Dinge keine (unabhängige) Meinung mehr bilden kann, weil die Informanten schon "embedded" sind (wie die amerikanische Kriegsberichterstattung), Wissen also nur noch gegen Geld oder politisches Wohlverhalten zu bekommen ist, muss die Informationsfreiheit noch einmal neu definiert - und erkämpft werden.


Aus diesem Grund bin ich ein überzeugter Verfechter der Open-Source-Bewegung, die für die freie Verbreitung von Texten (und Software-Codes) im Internet eintritt. Hier ist jeder Mensch als Autor willkommen, Informationen und Wissen mit anderen zu teilen, ohne die Kontrolle kommerziellen Wissens- und Informationsagenten zu überlassen, mögen sie Bill Gates oder anders heißen. Wie wunderbar das funktionieren kann, zeigt die freie Internet-Enzyklopädie [Wikipedia](http://de.wikipedia.org/), in der die Vernetzung einer Vielzahl von Mitwirkenden nicht nur zu einer Akkumulation von Wissen, sondern auch seiner Korrektur und Aktualisierung beiträgt, und das in einem Zeitfenster, das jeder Druckversion weit überlegen ist.


Dabei glaube ich nicht, dass die Inanspruchnahme dieser Freiheit der Information und des Wissensaustausches mit den Interessen von Verlegern unvereinbar ist. Schließlich können Verlage im Durchschnitt nur in Projekte investieren, die sich auch verkaufen lassen. Und sie schaffen dafür Produkte (in der Regel schöne Bücher), die ihren Preis auch wert sind. Aber nicht alles, was sich mitzuteilen lohnt, lässt sich auch verkaufen, meist aus dem Grunde, dass die Zielgruppe zu klein ist. Solche Überlegungen spielen im Internet keine Rolle. Ich möchte nicht ohne Bücher sein. Verlage spielen eine wesentliche und unverzichtbare Rolle bei der Verbreitung von Wissen. Vor allem die engagierten kleinen und mittelgroßen Verlage leisten da Großartiges, und oft sehr uneigennützig (ein Kompliment an Gunthard Weber, Fritz Simon und den Carl-Auer-Verlag). Das Internet bietet darüber hinaus aber eine andere Form und Technologie der Wissenskommunikation, die mit den Print-Medien eine produktive Allianz eingehen könnte. Beide Bereiche einander entgegen zu stellen, halte ich für einen Fehler. Das Internet bietet Möglichkeiten der Aktualität wie auch der Zugänglichkeit zu historischen Quellen (Online-Archive), die im Print-Bereich sowohl aus Zeit- wie Geldgründen nicht zu realisieren sind. Ich glaube, dass von diesen nicht-kommerziellen Aktivitäten im Internet letztlich auch der Print-Sektor profitieren kann. Allerdings scheint die zunehmende Kommerzialisierung des Wissenszugangs im Internet darauf hinaus zu laufen, dass auch dieses Medium immer mehr in die Hände von Leuten und Firmen gerät, die sich für die Inhalte und ihre Vernetzung nicht mehr wirklich interessieren.


Deshalb finde ich wichtig, das Internet als Kommunikationsplattform intensiv zu nutzen, auch für uns Systemiker. Es gibt ja schon eine Reihe von Ansätzen. Das "gepfefferte Ferkel" von Heinz Kersting & Freunden hat wichtige Akzente gesetzt. Die systemische Mailingliste ist ziemlich aktiv, wenngleich sie als Blog wahrscheinlich lesefreundlicher wäre. Das ["systemagazin"](http://www.systemagazin.de), das ich seit Januar als nicht-kommerzielles Online-Magazin für systemische Entwicklungen betreibe, hat in der letzten Woche seinen 50.000sten Besucher verzeichnet. Das ist erfreulich. Allerdings ist die Zahl der direkten Rückmeldungen noch ziemlich klein. Ich muss mein feedback dann bei meinen Freunden und Bekannten holen - der erträumte direkte Austausch von Schreibern und Lesern ist noch nicht Alltag.


Aus diesem Grund finde ich dieses Projekt sehr reizvoll. Und vielleicht lesen viel mehr diesen Blog, als es aufgrund der bisherigen Rückmeldungen den Anschein hat. who knows…