Mutterkreuzzug

Ihr Appell soll nicht ungehört verhallen, lieber Herr Simon! Ich will mich ab sofort auch wieder dann und wann hier zu Wort melden und den Auer-Blog mit meinen Einfällen bereichern. Auch zu den Ihren was loslassen, so es denn passt. Vielleicht tun es ein paar andere „Berechtigte“ ja auch, so dass Sie sich nicht wie ein einsamer Zampano vorkommen müssen, wenngleich ich sicher bin, dass Ihnen das keinerlei Mühen bereiten würde, hier den Alleinunterhalter abzugeben. Schon den ganzen August durch dachte ich: „Still ruht der See“, und rätselte, warum in der ganzen großen Auer-Autoren-Gemeinde sich hier niemand äußert, obgleich er/sie nur zwei Mausklicks vom offenen Markt der Meinungen entfernt ist. Vielleicht war das mit der Kehrwoche ja gar nicht so schlecht, als eine(r) immer eine Woche wusste: Ich bin jetzt dran. Schließlich gibt es Stoff genug für den systemischen Kehrbesen. Zum Beispiel Eva, von der Matthias Richling im *„Scheibenwischer“* vergangenen Donnerstag meinte, die Eva Braun hieße jetzt Eva Herman.


Eva Herman, die Autorin des *„Eva-Prinzips“* und langjährige TV-Moderatorin, früher bekannte und beliebte Tagesschau-Sprecherin, hat erneut zugeschlagen. Der NDR hat ihr am vorigen Wochenende den Moderatorinnenstuhl vor die Tür gestellt, nachdem die Autorin bei der Präsentation ihres neuen Buches (*"Das Prinzip Arche Noah. Warum wir die Familie retten müssen"*) die Nationalsozialisten für ihre Wertschätzung der Mütter, von Kindern und Familie gelobt hatte. Es stehe ihr frei, ihren Mutterkreuzzug fortzuführen, mit der Rolle einer NDR-Moderatorin sei das nicht zu vereinbaren. Zwar hat sich die Gute inzwischen rundum für ihren Tritt ins Politischkorrektheitsfettnäpfchen entschuldigt, ihren Job ist sie gleichwohl los und hat nun, wie man liest, alle Zeit der Welt, ihre Lesereise mit dem neuen Buch zu starten.


Was halten wohl Systemiker von dieser Geschichte? Sind nicht viele von ihnen professionell und mit ganzer Kraft mit der *„Rettung der Familie“* beschäftigt?


Mir fällt bei Mutterkreuz zuerst einmal meine Großmutter ein. Sie hatte es als Mutter von sieben Kindern bekommen und auf meine Großmutter lass ich nichts kommen. Muttermythos her oder hin. Ich war vielleicht neun Jahre alt damals, aber ich erinnere mich gut, dass sie sich keinesfalls besonders gefreut hat darüber. Sie war – mit den Nazis nichts am Hut – eher verlegen, hätte lieber ihren jüngsten Sohn Engelhard am Leben gewusst, statt im fernen Donbogen vermisst.


Wenn nun also Volker Herres, der NDR-Chefredakteur, der Presse mit der Verknüpfung von Mutterkreuz und Kreuzzug einen polemischen Kracher formuliert und andere wie SPIEGEL-Online am 11. September mit dem Titel *„Evas Sündenfall“* neues Material ins mythische Gebräu rühren, ist das eine vielfach unselige Debatte in die falsche Richtung. Schließlich stößt Eva Herman eine längst überfällige Diskussion an. Sind nicht die steigende Zahl von Kindern in Armut, Familien in Armut, das zunehmende Merkmal „allein erziehend“ und einige Zeiterscheinungen mehr - oft Folge zerfallender, allzu leicht zerbrechender Familienstrukturen - Alarmzeichen genug, um ernsthaft und vor allem ohne diese ewigen Totschlagargumente und emotionalen Messer gegen alle, die den Mut haben, gegen den gerade herrschenden Trend über den Weg der Familien in die Zukunft nachzudenken? Ein Jammer, dass das alles nun wieder im mythischen Moor landet, wo jeder ungewohnte Gedanke nur maulendes Geblubbere statt ruhiges Nachdenken erntet. Ein Jammer auch, dass Eva Herman mit dem unseligen Nazivergleich diese Schieflage völlig selbst verschuldet hat. Da hilft dann kein Bedauern und keine Bitte um Entschuldigung bei *„Naziopfern“*. Mir fällt nach meiner Großmutter zu diesem Thema die auf der Dorfwiese – heute ein Parkplatz - angetretene BDM-Riege ein. Ich war vielleicht neun Jahre damals, es war um die Zeit, als Großmutter das Mutterkreuz erhielt, und sehe sie noch in ihren Uniformen, die großen Mädchen vom Dorf. Die „Führerin“ hielt eine flammende Rede an ihre Truppe, die mit den Worten endete: *„Und wer jetzt bereit ist, dem Führer ein Kind zu schenken, der trete vor!“* *„Niemand?“*, klang es gereizt. Nein, an diesem Abend meldete sich keine. Dabei war ja die *„Villa“*, wie im Dorf das Haus mit der Ärztin hieß, bekannt für ihre damalige Funktion. Schließlich gingen ständig sehr junge Frauen hoch schwanger in deren Nähe spazieren und ich selbst war wenige Jahre zuvor genau dort zur Welt gekommen. So klein wir waren, wussten wir Buben vom Dorf doch genau Bescheid: Die Mädchen, welche *„dem Führer ein Kind schenken“* wollten, wurden in irgendwelchen Erholungsheimen oder wo auch immer mit jungen SS-Leuten zusammen gebracht, wo sie so lange gewissermaßen unter staatlicher Regie dem Kinderwunsch für den Führer dienen durften, bis sie schwanger waren. Später dann das Entbindungsheim, wie die Villa hieß. Genaueres wussten wir Buben darüber natürlich nicht. Ich für meine Person machte einen ziemlichen Bogen um die *„Villa“*. Sie war etwas unheimlich, wenn auch noch immer der Ort meiner eigenen Geburt.


In den 1960er Jahren gab es dann wieder die ganz normale Familie, einen Vater, der das Geld verdiente und eine Mutter, welche die Kinder groß zog. So war es auch in meiner eigenen. Und ich erinnere mich noch gut an Ehepaare, die dann *„Doppelverdiener“* hießen und *"natürlich"* ihre Kinder vernachlässigten. In vielen Familien war es üblich und gewiss auch materiell unausweichlich, dass beide Eltern Geld verdienten. Es gab die Schlüsselkinder, die sich mit dem Schlüssel um den Hals nach der Schule selbst überlassen waren. Man sagte das mit einer gewissen Verachtung gegen die Rabenmütter in der Stimme. Im öffentlichen Dienst nahmen diese Frauen andern die Stelle weg. Als dann die 68er die *„Vergesellschaftung der Kinder“* predigten, hatte die DDR längst gehandelt. *„Es war nicht alles schlecht in der DDR“*, sagen heute manche, und in einer Hinsicht haben sie gewiss Recht: Es gab Kinderbetreuung fast von Geburt an. Dabei war das ideologisch begründet und politisch gewollt: Erziehung des sozialistischen Menschen durch den sozialistischen Staat. Doch das ist der reale Hintergrund des statistischen Fortschritts bei den Krippen- und Hortplätzen im Osten der Republik. Das Thema Mütter, Familien, Kinder: Immer war es hoch emotional und immer auch von politischen Absichten befördert.


Wer alt genug ist, erinnert sich gewiss an die alten Kampfbegriffe: *„Mein Bauch gehört mir!“* Dem Pillenknick (der auch sehr stark der wirtschaftlichen Situation der Menschen zu verdanken ist, nicht nur der Erfindung Pille) folgte die Schlacht um den Paragraphen 218. Etwas später, um 1980, kam die SPD mit dem Mona-Lisa-Plakat, verfremdet mit dem Schlachtruf: *„Weg mit den alten Rollen!“* Die *„Hausfrauenehe“* wurde als *„Versorgungsehe“* diffamiert und erst vor kurzem kam es aus dem Mund einer der SPD-Frauen: *„Auf die paar wenigen alten Frauen ohne eigene Rente kommt es nun nicht mehr an.“* Deswegen nennen sie nun auch eine Abweichlerin und Ehemaligen der SPD die *„Eva Herman der Linken“*. Gemeint ist Christa Müller, die Ehefrau Oskar Lafontaines und Mutter eines Sohnes, welche in Talk Shows heute die Mütter der Familien an ihre Verantwortung erinnert. Und ihre Eltern und Schwiegereltern zu Hause versorgt(e).


Und keine rettenden Konzepte für die ganz normale Familie, nirgends? Was meinen die systemischen Experten dazu? Von der Leyens Zweiklassenmodell der Familienförderung ist es gewiss nicht. Ein (verzichtbares) Zubrot höchstens für manche und für sehr wenige die entscheidende Hilfe. Wenn aber in Ermangelung wirklicher, rational begründbarer und an den realen Problemen orientierter Konzepte Eva Herman ihre Prinzipien auflagenindiehöhetreibend verkündet, mögen sich die Promotorinnen eines neuen Frauenbildes beiderlei Geschlechts furchtbar aufregen. Ich finde, es gehört schon eine große Portion Mut dazu, gegen die herrschenden Lehren ins Feld zu ziehen und – wenn auch wie hier leider mit etwas fragwürdigen Argumenten – Fehlentwicklungen perturbierend zu benennen, Eva Herman und Christa Müller sei Dank. Denn die Fehlentwicklungen sind ja mit Händen zu greifen und leider nicht die guten Ideen und noch weniger der verbreitete Wille, ihnen zu begegnen. *„Wenn jemand eine gute Idee hat, ist er zunächst eine Minderheit von einer Person“*, sagte mal ein kluger Mensch, die Erfahrung vieler Kreativen treffend beschreibend. Aber das muss ja nicht so bleiben. Polemik und Abstrafung jedenfalls bringen keine Lösung der Probleme. Nur Mut und neue Ideen und sei es das Anknüpfen an die Erfahrung der Menschheit der vergangenen 10000 Jahre (oder waren es 100000?) nach den Verirrungen des Nationalismus und des Kommunismus. Diffamieren sollte man diejenigen nicht, die ernsthaft gewisse Zeiterscheinungen und Errungenschaften hinterfragen und selbstverständlich Gewordenes in Frage stellen, auch nicht, wenn man die Macht der Medien nutzen darf wie ein Chefredakteur des NDR. Den Scheibenwischern braucht man das nicht zu verübeln. Sie walten ihres Amtes als Spaßmacher der Nation und es bleibt dem Zuschauer ohnedies manchmal das Lachen im Hals stecken. So ernst sind ihre Scherze.


Ein Gruß an alle potenziellen Blogger und wirklichen Leser des Auer-Blogs,

Horst Kasper