Mozart hätte gelacht

Es gibt bestimmte Grundhaltungen, die gehören, so hat man das Gefühl, im Smalltalk irgendwie zum guten Ton: „Was, sie haben Mathematik studiert? Für mich war Mathematik in der Schule immer ein Buch mit sieben Siegeln!!“ oder: „Politik? Nein, mit Politik will ich nichts zu tun haben. Ich bin völlig unpolitisch.“ Und vor allem in Wien, der Stadt der Musik, beliebt: „Sie mögen Schönberg? Wirklich? Das ist Musik für Sie?“ - Es ist ja ein eigenartiges Phänomen, dass Schönbergs Musik, die vor beinah hundert Jahren komponiert wurde, für viele Zeitgenossen noch immer unter dem Label zeitgenössisch fungiert. Was sich wohl damit erklärt, dass dieses Label im Sprachgebrauch schlicht „für „normale“ Ohren unhörbar“ bedeutet.


Anlässlich Mozarts 250. Geburtstag – der ganz genau auf den 27. Jänner 2006 fiel, aber nachdem sich an einem Tag die Feiern zu dicht gedrängt hätten und all die von langer Hand vorbereiteten Mozart-Torten, Mozart-T-Shirts, Mozart-Drinks und Mozart-Kappen nie und nimmer an diesem einen Tag an den Mann oder die Frau hätten gebracht werden können, hat man beschlossen, ein ganzes Mozartjahr feierlich zu begehen – also, anlässlich dieses denkwürdigen Tages durfte ich einem Konzert in einem der großen Wiener Konzertsäle beiwohnen. Hans Zender, der nicht nur Komponist ist, dirigierte das Stuttgarter Symphonieorchester. Aufmerksame Leserinnen werden jetzt schon haarscharf geschlossen haben, dass es sich damit um einen noch lebenden (sonst schwerlich in der Lage zu dirigieren) und daher im engsten Wortsinn zeitgenössischen Komponisten handelt.


Hans Zender also verschonte zwar das Wiener Abonnement-Publikum mit Eigenkompositionen, hatte aber die überaus seltsame Idee, dem großen Meister an seinem Geburtstag nicht nur mit dessen Werken, sondern auch mit auf ihn bezugnehmenden Schöpfungen von Musikschaffenden unserer Tage zu huldigen. Wobei das mit dem Musik schaffen wie eingangs erwähnt Ansichtssache ist – und so machte sich nach der Pause der wachsende Unmut, die Unruhe weiter Teile des Publikums ob eines über der Zeitgenossen Gebühr langen (sage und schreibe dreißig Minuten!!) Musikstücks von Helmut Lachenmann in einem laut gerufenen: „Wir wollen Musik hören!“ Luft. Gelächter, mehr oder weniger verhaltener Applaus an mancher Stelle im Saal. Die Sehnsucht scheint`s ist noch vorhanden, nach den Zeiten, wo benannt werden durfte, was des Menschen Art gerechte und was entartete Musik ist.


Und die Moral aus der Geschicht: Lass einen lebenden Komponisten kein Konzertprogramm zusammenstellen. Und wenn das schon passiert ist – geh nicht hin. Wie gut, dass Mozart 250 Jahre vor uns gelebt hat – wäre er ein Zeitgenosse, hätten wir ihn wohl meiden müssen. Und wir hätten möglicherweise erleben müssen, dass er und Helmut Lachenmann sich prächtig verstanden hätten – Helmut Lachenmann, der in den 1970er Jahren anlässlich der Uraufführung seiner noch 30 Jahre später solch Unruhe provozierenden Referenz an das Mozartsche Klarinettenkonzert schrieb: „Kunst, als Botschaft von Menschen für Menschen, muss sich entscheiden, ob sie den Blick in den Abgrund aushalten und ihr Selbstverständnis durch solche Erfahrung prägen lassen, oder ob sie solche Erfahrungen verdrängen und sich den Erwartungen der Gesellschaft fügen will, die die Werke der Tradition sich als warme Bettdecke über den Kopf zieht und das Verständnis dieser Tradition so verrät. Kunst, Medium der Erhellung, wird weithin als Medium der Verdrängung missbraucht. Kunst heute, die aus dieser Rolle ausbricht, muss in den Konflikt mit den geltenden Gewohnheiten der Gesellschaft geraten, ob sie will oder nicht.“ Ich glaube, Mozart hätte schallend gelacht. Und wohl begeistert mit jenen mitapplaudiert, die am Ende des Stückes, als Hans Zender die dirigierenden Hände sinken ließ, durch ihre heftigen Ovationen zumindest ein Unentschieden mit dem bürgerlichen Zeitgeist der Zeitgenossen erzwangen.