Moral vs. Kunst (oder: In der Sache Kevin Spacey)

Kevin Spacey, ein sehr erfolgreicher Hollywood-Schauspieler, soll sich an kleinen Jungs sexuell vergriffen haben. Wenn das stimmen sollte (was ich hier erst einmal ungeprüft unterstelle), so ist dieses Verhalten aus meiner Sicht moralisch verwerflich und verachtenswert (da folge ich ganz dem aktuellen Main-Stream moralischer Empörung).


Doch nun wird Spacey aus einem bereits abgedrehten Film wieder herausgeschnitten, so dass sich - wieder einmal - die Frage nach der Beziehung von Autor und Werk, von Künstler und Kunstwerk stellt.


Denn, da mache ich auch keinen Hehl draus, ich schätze Spacey als Schauspieler. Aber es geht ja gar nicht um diese konkrete Person, sondern um die generelle Frage, ob moralische Urteile irgendeine Relevanz für die Bewertung von Kunst haben dürfen/sollen.


Kunst ist m.E. ja fast immer an ein abweichendes Verhalten des Künstlers gebunden. Kreativität ist in den meisten gutbürgerlichen Berufen einfach nicht gefragt. Und wer wirklich relevante Kunst produzieren will, riskiert immer die Ausgrenzung. Dass spezifische sexuelle Vorlieben (die ja nie unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen an das Verhalen des Individuums bewertet werden), die zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als abweichend diskreditiert werden - man denke an die lange Zeit als Straftatbestand, dann als Krankheit bewertete Homosexualität - bei Künstlern zu beobachten sind, ist ja nicht außergewöhnlich. Exemplarisch: die vielen Hollywood-Stars, die zu Beginn der Aids-Epidemie dahin gerafft wurden.


Die Bilder von Egon Schiele (z.B.) waren zu seiner Zeit - lange vor der Verbreitung von Pornos durch das Internet - sicher nicht sozial akzeptiert. Sie widersprachen der Moral, die steuert, wer aufgrund seines Verhaltens zu verachten oder auch zu verehren ist. Heute werden Schieles Bilder in Museen ausgestellt und (wie ich meine) zu Recht als große Kunst bewertet.


Man bekommt die Kunst nicht ohne den Künstler, aber man kann die Werke des Künstlers verehren, auch wenn man das Verhalten des Künstlers - das ja nicht 24 Stunden, 7 Tage die Woche aus der Produktion von Kunst besteht, verachtet. Man muss wohl oder übel akzeptieren, dass beides im Paket geliefert wird.


Niemand käme wahrscheinlich auf die Idee, die Relativitätstheorie Einsteins aus den Lehrbüchern der Physik zu streichen, wenn sich heraus stellen würde, dass er sich an kleinen Mädchen vergriffen hat (was zweifellos - unabhängig vom Täter - zu verachten wäre). Bei Wissenschaftlern ist es offenbar einfacher, zwischen Werk und Autor zu trennen. Der Grund dafür dürfte sein, dass hier Spielregeln der Bewertung des Werkes geteilt werden, die zum einen die Bedingungen der Beschreibung von Phänomenen (=Methoden) festlegen, die für die Replizierbarkeit von Beobachtungen sorgen, und zum anderen Regeln einer logischen (=widerspruchsfreien) Argumentation festlegen, so dass unabhängig vom konkreten Beobachter Schlüsse gezogen werden können. In der Kunst ist das schwieriger. Hier geht es um ästhetische Urteile, die sich nicht per Argumentation oder sonstwie objektivieren lassen. (Darin dürfte, nebenbei bemerkt, auch der Reiz der Kunst für den Künstler liegen.)


Ich habe mich hier ja schon mehrfach über dieses Thema geäußert (Beispiel: George Spencer-Brown). Auf jeden Fall finde ich es bedenklich, wenn aus moralischen Gründen - wie im Beispiel Kevin Spacey zu beobachten - ein Kunstwerk verändert wird, nur um es massentauglich zu machen.


Aber eigentlich sind all diese Überlegungen wohl am falschen Beispiel aufgehängt, denn im Hollywood-Kino geht es nicht um Kunst, sondern um Geschäft. Wahrscheinlich lohnt sich ja der Aufwand, die Szenen mit Spacey neu zu drehen, um den Film moralisch korrekt und damit umsatzkräftig zu gestalten.


Es gibt offenbar eine kitschige Sehnsucht nach Ambivalenzfreiheit in der Bevölkerung (nicht nur der, die ins Kino geht): Stars sollen makellos strahlen, sonst können sie nicht als Projektionsfläche für Idealisierungen  dienen. Schlichte Gut-böse-Unterscheidungen bestimmen die Drehbücher, das Gute muss am Ende siegen, und der Hauptdarsteller verschmilzt - in der öffentlichen Wahrnehmung - mit der Rolle, die er spielt...