Modell Neapel

Es ist schon ein ziemlich ferne Stadt, dieses Neapel. Als ich nach meiner Rückkehr im Sonntag durch Berlin ging, hatte ich das Gefühl, hier hätte eine Neutronenbombe eingeschlagen. Keine Menschen. Saubere (!) Strassen. Meine Mutter hätte gesagt: "Man hat das Gefühl, man könnte von der Strasse essen!" Und das in Berlin. Kontraste sind alles.


Aber Neapel ist ein Modell für --- ja, für was eigentlich? Pragmatismus, Neoliberalismus, die Regression zu feudalen Strukturen - die Kontinuität dessen, was Menschen ausmacht? Ich kann es nicht genau benennen, aber es scheint mir signifikant. Deshalb ist es auch so eine interessante Stadt.


Anders als die geschleckten italienischen Städte, die ihre antiken Bauwerke rausgeputzt, eingezäunt und touristengerecht verpackt haben, kümmert sich Neapel nicht wirklich um sein Erbe. Es nutzt es aber rein pragmatisch für die neapolitanischen Alltagsbefürfnisse - ohne den Umweg zu nehmen, sie an Touristen zu vermarkten und daraus seinen Gewinn zu ziehen. Beispielhaft scheint mir hier, dass es kaum eine Kirche gibt, in der nicht, ohne jede Rücksicht auf ästhetische oder stilistische Erwägungen, Bauteile aus der Antike verwendet wurden. Nicht als Schmuck, sondern weil eine Säule eben zig Ziegelsteine ersetzen kann und auch trägt. Das antike Amphitheater sieht man z.B. nicht, weil es überbaut ist. Man muss in ein Haus gehen, in das Wohnzimmer fremder Leute, in ihren Keller und ... man steht in allten Vorräumen der Arena... Von außen: ein Haus in einer Gasse wie alle anderen usw.


Diese Stadt ist wie von einem Hobby-Bastler gebaut. Der hat in seinem Keller eben auch Kisten mit Schrauben, Zwingen, Drähten, die er unabhängig von ihrem ursprünglichen Zweck verwendet, wenn er sie brauchen kann. Das ist alles nicht Ergebnis irgendwelcher Planung, sondern Selbstorganisation in Reinkultur, Evolution, Selektion aus dem, was da ist, aufgrund aktueller Nützlichkeitserwägungen. Das ist es wahrscheinlich, wofür Neapel ein Modell ist. Die Abwesenheit politischer Verantwortung, die dieser Form der Selbstorganisation aufgrund politischer Willensbildung ("Wie wollen wir leben?") Grenzen setzen würde...