Mausestimme

Manches, was in den USA unerträglich ist, ist in Kanada nicht besser. Dazu gehört das Phänomen erwachsener Frauen mit Mickymausstimmen. Das ist eine sehr hohe, piepsige Stimmlage, die man bei Kindern unter 7 Jahren eventuell noch als angemessen erleben würde, nicht aber bei Erwachsenen. Kein erwachsener Mensch hat von Natur aus solch eine Stimme. Man muss sicher jahrelang üben.


Die wirklich sehr nette und freundliche Kellnerin bei „Rudders“ (dem einzigen Lokal in der Gegend, in dem man einigermaßen gut essen kann), die uns heute bediente, hatte solch eine Stimme. Sie war ca. 25 Jahre alt und sie hätte durchaus attraktiv wirken können, wenn sie nicht so gesprochen hätte. Natürlich ist das ganze noch schlimmer, wenn die betreffende Dame das durchschnittliche Übergewicht von 30 bis 40 Kilo hat, das in nordamerikanischen „Malls“ (Einkaufszentren) üblicherweise getragen wird (und rosa gefärbte Haare).


Trotzdem ein Jammer. Als jemand, der sich für Interaktion und Kommunikation interessiert, frage ich mich natürlich, welches Beziehungsangebot mit solch einer Mausestimme verbunden ist, welche „Einladung zum Tanz“.


Da ich in meiner Jugend durch die Lektüre von Micky Maus Heften geprägt wurde, habe ich eigentlich ein ganz anderes Mausfrauenbild. Minny war eine emanzipierte und selbstbewusste Frau, die solch eine Stimmlage sicher nur dann hatte, wenn sie – was sie ja manchmal tat – die Augen verlegen nach oben verdrehte, rot wurde, und in den Wortblasen Herzchen zu lesen waren.

In den Comics war alles ohne Ton. Der kam erst mit dem Film. Und damit auch die Mausestimme. Aber Micky war auch eine Maus, so dass die Symmetrie der Stimmen sicher gestellt war.


Was bedeutet es, wenn nur einer solch eine Stimme präsentiert, wohl wissend, dass sein Gegenüber seine „erwachsene“ menschliche Stimme nutzt?


Meine Frau, mit der ich diese Frage ausführlich diskutierte, meinte, diese Stimme sei das Äquivalent zu den eingeschnürten Füßen der Frauen im alten China...