Martial Arts

Da ich nicht weiß, für wen ich hier schreibe, da ich zunächst also alles, was ich schreibe nur mir selbst erzähle und der Leere, will ich mich einfach den Notizen und dem Erzählstrom überlassen und sehen wo mich meine Erzählung überall hinführt. Ich weiß zwar ungefähr WO ich hin will, nämlich auf einen formulierten Erkenntnisstand, ein Zwischenergebnis darüber, was die Philosophie des Aikido mir/uns ganz allgemein sagen kann.


Aber es kann lange dauern, dort hin zu kommen. Auch auf die Länge muss ich bei meiner Einkehr keine Rücksicht nehmen, ich muss hier keinerlei Hausaufgaben, noch Wunderwerke an Stringenz vollbringen – bin nur eingeladen zu schreiben...


Ich tue hier einfach so, als ob Aikido allgemein interessant wäre und schreibe einfach darauf los, wie es mir gerade einfällt und versuche dabei halbwegs geordnet zu bleiben. Ich werden dann vermutlich nicht viele Leser haben, die es auf sich nehmen, sich da durch zu arbeiten, aber nicht einmal das muss mich stören, denn es ist schließlich meine Einkehr und ich bin nur der Leere verantwortlich, auf die ich operiere. Aber ich würde mich natürlich freuen, dabei nicht nur von der Leere, sondern auch von Ihnen begleitet zu werden.


Die Allgemeinbezeichnung *Martial Arts*, benutze ich nicht aus unkritischer Freude an Anglizismen, sondern weil es die internationale Bezeichnung ist und die Wortzusammensetzung außerdem daran erinnert, dass es sich bei Aikido um etwas Martialisches, eben dezidiert um eine Kampf-Kunst handelt.


Aikido ist scheinbar eine reine Kunst - im Sinne des *l’art pour l’art*. Einerseits, weil der praktische Zweck dieser Kunst, der traditionelle, tödliche Kampf von Mann gegen Mann der Geschichte angehört. Andrerseits, weil das originale Aikido seines Begründers, auf seinem Weg durch die Welt, Veränderungen, Verwässerungen, Auslassungen, ja Neukreationen erfahren hat, die seinem Wesen oftmals zuwiderlaufen. Aikido kann aus Gründen seines Verständnisses nicht waffenlos praktiziert werden. Daher ist Aikido und Aikido nicht dasselbe! Das sage ich, weil ich viele "Stile" kennen gelernt habe und bei dem Aikido gelandet bin, welches mir effizient, verständlich, stimmig und deshalb wahrhaftig und befriedigend erscheint.


Ich liebe Aikido seit der ersten Stunde, warum weiß ich nicht immer genau. Ich erzähle manchmal, dass ich wie gesagt gern physisch herumtobe, gern mein Ki spüre, oder dass diese ritualisierte Form des Kampfes und seines tieferen Begreifens Freude machen und ich weiß, dass ich es als Herausforderung empfinde, mich Unannehmlichkeiten, Befindlichkeiten und Ängsten zu stellen. Trotzdem kann ich mich nur schwer festlegen, was es im Allgemeinen ist. Auf unsere Frage, warum er Aikido macht, sagte Tony (Cassells): "To become free." Genau deswegen, mache ich es vermutlich auch. Aber es ist ein harter Weg, frei zu werden.


Es handelt sich beim Training des Aikido einerseits tatsächlich um eine scharf erfahrbare,, innere Auseinandersetzung. („*Martial Arts* zu betreiben, so T. K. Chiba, ist der Weg zu dir selbst.“) Andrerseits handelt es sich um ein öffentliches Tun und öffentliches Präsentsein im Dojo während des Trainings. Es handelt sich darüber hinaus im weitesten Sinn um ein System, das meiner Ansicht nach etwas Politisches und kulturell eminent Wichtiges mittransportiert. Es basiert außerdem, wie jedes System, auf einer Paradoxie. Somit eignet es sich, als Beispiel eines *Handlungs-Systems*, überraschend interessant zu sein - auch für Außenstehende.


Man trainiert Aikido immer zu zweit. Man setzt sich jedoch mit den unzähligen Erfahrungen, Eindrücken, Widerständen, Wehleidigkeiten, seinen Handicaps, Befindlichkeiten, Zuständen, Konfrontationen, Überwindungen, Prioritäten, Entscheidungen zu trainieren oder nicht zu trainieren usw. allein auseinander. Disziplin muss man selbst erschaffen. Man mag es nicht tun. Man täte es gern. Man hat keine Zeit. Man muss es nicht tun. Warum tut man es?


Man will Martial Artist sein. *Ein Samurai des Selbst*. Im eigenen Inneren die 12 Aufgaben des Herkules bewältigen.


Hat man gravierende Eindrücke und Fragen verarbeitet, überwunden, aufgelöst, steht man wieder auf der Matte. Man leert das Glas. Man fängt immer bei Null wieder an. Man ist nie zufrieden, man hat es nie vollständig begriffen, man hat es nie im Griff.

Stattdessen ist man im allerbesten Fall leer, empfänglich und zugleich bis in die Fingerspitzen erfüllt mit praller Bereitschaft: mit Ki! *Das sollte ein Samurai immer sein*.


**Ki** bedeutet Lebenskraft und meint die geistige und körperliche Bereitschaft zur absoluten Präsenz. **Ki** bedeutet auch die daraus resultierende Körperspannung, also eine Spannung, die weder Erschlaffung noch Verkrampfung zulässt und unabdingbar ist, die einzelnen Techniken überhaupt auszuführen und die stete Verbindung (*connection*) zum Gegner zu halten.


Man nennt Aikido auch Meditation in Bewegung, weil die ablaufende Dynamik es gar nicht zulässt, an irgendetwas zu denken. Man reagiert auf das, was Hier und Jetzt geschieht so gut man kann (ein Angriff) und wird dabei zunehmend konditioniert, adäquat zu reagieren.


Ein Angriff erfolgt dynamisch, im „martialischen“ Fall so, dass sich einem „die Haare im Nacken sträuben“, man nicht mehr denken kann, was man machen will und nur mehr das zählt, was der Körper verstanden, sich gemerkt und automatisiert hat und - man dabei mitgeht.


Wenn man Glück hat, hat man einen Instruktor, Lehrer oder Shidoin, der charismatisch ist, also von seiner Sache durchdrungen ist, der die Martial Arts physisch und charakterlich persönlich vorlebt, der mutig ist, der Mut macht, der Distanz, Gelassenheit und Geduld hat, ohne dabei je den Biss zu verlieren, der einen wirklich herausfordert und der auf diese Weise den ganz persönlichen Weg jedes einzelnen seiner Schüler individuell fördert. Wir haben tatsächlich so jemanden. Und wir Trainierenden sind so kongenial eingestimmt diese Begeisterung aufnehmen zu können. Das ist ein außerordentliches Glück, das mich immer mit großer Dankbarkeit erfüllt.


Das Wesentliche ist, Hin zu gehen und es zu tun. Anfangs geht es munter und begeistert vorwärts. Später empfindet man manchmal, dass man mehr Rückschritte macht als Fortschritte. Dann jubiliert man innerlich, da man etwas begriffen zu haben meint. Bald jedoch kann sich auch herausstellen, dass man seine Erleuchtung schon im nächsten Training, Camp oder Kurs vollkommen vergessen hat. Man kommt subjektiv - und subjektiv natürlich je ganz unterschiedlich - nie auf die Höhe der Kunst, selten nur auf die eigene Höhe, stets gibt es schon Entdecktes wieder zu entdecken, von dem man dann weiß, dass man es am heutigen Tag nun zum x-ten mal neu entdeckt hat. Meist fliegt man auf die Nase, bevor man zum Höhenflug ansetzen konnte. Man bleibt am besten bescheiden und dankbar dafür, dass man es tun darf.


Im Ganzen erfährt man jedoch, dass es sich einem Stück für Stück in den Leib einschreibt. Es findet, wenn man regelmäßig und oft genug trainiert eine physische Konditionierung statt, die beachtlich ist, wenn man dies vernachlässigt macht man schmerzhafte Erfahrungen, aber der Körper, der Aikido intus hat und es liebt, passt sich schnell wieder an. Eines Tages erlebst du dann, dass dich nichts mehr so schnell umhaut, ausgenommen Deine Meister oder Deine Nicht-Zentriertheit. Zentriertheit wird allmählich, und ganz allmählich zunehmend, zu einer Erfahrung, die dich begleitet. Es gibt Talentierte und Untalentierte, steht im HAGAKURE, dem klassischen Handbuch über den Samurai. Ich bin subjektiv gesehen weder begabt noch unbegabt – ich liebe es einfach und gehe meinen ganz persönlichen Weg der Kunst des Kampfes mit mir selbst.


Nach 9 1/2 Jahren empfinde ich, wie könnte es anders sein, dass ich ganz am Anfang stehe. Andrerseits, habe ich die Gewissheit und Sicherheit, die mir nichts und niemand nehmen kann, dass ich es seit bald 10 Jahren einfach tue. Ich habe keine Furcht mehr vor diversen Unannehmlichkeiten, Schmerzen und Verletzungsmöglichkeiten, die das Training bereithält. Aber ich denke jedes Jahr in mindestens zwei Krisen daran, mit Aikido jetzt aufzuhören. Aber dann gehe ich zum nächsten Training und sage mir, dass ich morgen auch aufhören kann. Wie gesagt, und wie kürzlich eine Aikidoka bemerkte: „Das Aufhören ist schwieriger als das Anfangen.“


Wenn ich mir vorstelle, dass jemand mich tätlich angreift, dann spüre ich heute sofort enorm *Ki* hochsteigen, spüre Widerstandskraft sich entfalten, spüre eine kraftvolle Geerdetheit, mit der ich vor meinem inneren Auge in den Bösewicht rein steige, und ihn so zu Boden knalle, dass ihm Hören und Sehen vergeht und er dabei den Hals bricht. Mit so einem Bild in mir wagt niemand mir was anzutun. Dieses Bild des „na warte, trau dich her“ hatte ich allerdings schon früher entwickelt. Seine Erschaffung war nicht der Grund, das Aikido aufzunehmen und durchzuhalten, aber das Bild hat sich seither präzisiert und die Paradoxie, beziehungsweise der Widerspruch des Aikido hat sich, jedenfalls für mich, nicht aufgelöst, aber in eine Richtung geklärt, die mir persönlich als wichtige Erkenntnis erscheint. Ich will darauf zurückkommen.


Zunächst einmal ist das Training der *Martial Arts* stets eine Konfrontation mit grundsätzlichen menschlichen Werten, mit Traditionen, historischen Entwicklungen und ist damit immer ein praktizierter intensiver Kulturaustausch.


Wir tun und trainieren etwas uns kulturell Fremdes, müssen uns dabei geistig und körperlich in eine Kultur einfühlen, uns etwas anverwandeln, das wir zuvor, wenn überhaupt, nur von außen kannten. Es wird damit schließlich zu einem Teil von uns selbst, ohne, dass man deshalb sagen könnte, dass wir dabei zu einem Teil Asiens oder Japans würden.


Was aber passiert ist, dass wir mit einem wesentlichen kulturellen Aspekt eines speziellen Landes geimpft werden und dieser damit zu einer Kraft und Energie wird, die wir im persönlichen westlichen Leben direkt und rein umsetzen können.


Wobei anzufügen ist, dass auch die Japaner ihrerseits solche Anstrengungen des kulturellen Austausches auf sich nehmen. Ich denke dabei zum Beispiel an das fruchtbare Bemühen um das Verständnis der europäischen Musik oder die Anstrengungen der Kyoto-Schule, (die bekanntesten Vertreter sind der Begründer Kitaro Nishida und sein Schüler Keiji Nishitani), die abendländische Philosophie aufzuarbeiten und an den Berührungspunkten einen gemeinsamen Kontext herzustellen. Ich finde das unglaublich bewunderungswürdig.


Das uns Unbekannte der *Martial Arts* wird den westlichen, durch die Aufklärung geprägten Menschen im Allgemeinen eher befremden als interessieren. Diese Erfahrung habe ich schon öfter gemacht. An diesem Punkt beginnt die kulturelle Auseinandersetzung. Viel später dann deren stillschweigende praktische Umsetzung in den persönlichen Lebenszusammenhang. Die produktive Verarbeitung und Einarbeitung passiert für viele erst, wenn sie lang genug dabei geblieben, wenn sie lang genug durchgehalten haben.


Aikido hat eine beträchtliche Fluktuation der Trainierenden. Viele beginnen begeistert und brechen nach einiger Zeit plötzlich ab. Vermutlich dann, wenn die Herausforderungen an persönliche Dauerhaftigkeit, Verbindlichkeit und physische Konditionierung zu anstrengend erscheinen. Warum?

Weil, und das ist eben der springende Punkt, die Kampfkünste einem im Allgemeinen und im Besonderen (wie jede Kunst, wie jeder ernsthaft betriebene Sport auch) eine intensive Auseinandersetzung mit der Materie, dem Trainingsset und vor allem aber die absolut konkurrenzlose Auseinandersetzung mit sich selbst abverlangen.


Soviel jedenfalls vorweg: Martial Arts sind *Kriegskünste*. Aikido soll dem *Frieden* dienen. Und gerade deshalb muss man, sich absolut effizient verteidigen können. Das ist der scheinbare (!) Widerspruch. Dabei trainiert man natürlich auch den Angriff. Er muss entschieden und eindeutig sein. Das ist Anfangs für viele (nicht nur für Frauen) eine große Überwindung, nämlich gegen den Anderen einen klaren Hieb, Stich oder Schlag zu führen.

Man hält sich anfangs aus Aggressionsfurcht dabei zurück, hat eine eindeutige Schlaghemmung, macht zögerliche, unentschiedene Vorstöße, zielt genau daneben, ist noch zu weit weg oder schon zu nahe, hat Angst vor den unvermeidlichen Folgen. Denn die Angriffsenergie wird ja gegen einen selbst zurückgewendet und je heftiger mein Angriff, desto dezidierter der schleuderfrohe Dreh-Hebel, der mich nun erwartet, mit dem ich sozusagen belehrt oder aufgeklärt werde, dass mein Angriff jedenfalls zu einer schmerzhaften Beendigung führt.


In den *Martial Arts* des Samurai bedeutet der Abschluss eines Angriffs den Tod des Angreifers. Das ist weiterhin das, wenn auch fiktive, Ziel, nämlich so gesehen, dass man die Fähigkeit anstrebt die Technik so effizient auszuführen und so effizient abzuschließen, dass der Gegner in eine lebensbedrohliche Lage kommt. Auf diese Implikation des Aikido komme ich später zurück.


Die genial ausgeklügelten Kampfkünste stammen aus dem fernöstlichen Raum, und in ihren japanischen Ausformungen speziell aus der Zeit der feudalistischen Herrschaft, der Shogunate, deren Samuraikultur, deren Ehrenkodex und der Tradition des (tödlichen) Kampfes von Angesicht zu Angesicht. Die Zentrale Form ist der Schwertkampf und der Speerkampf. Dazu gehören die diversen waffenlose Formen, teils Entwaffnungstechniken der *Martial Arts* (zum Beispiel *Jujutsu*, das bei uns bekannte *Judo* oder das dynamische *Tai Chi*, weiters *Karate*. Weiters *Kendo* und viele andere mehr, die in Japan aus den verschiedensten Umständen heraus entwickelt wurden, zum Beispiel solche wo die Gerätschaften der Bauern auf dem Feld bei Bedarf sofort als Waffen verwendet wurden).


Wie wird ein Krieger erzogen, bei dem es tatsächlich und ganz offensichtlich um Leben und Tod geht?


Was soll am Drehgriff und Armhebel, am Aushebeln und Werfen, Schneiden und Stechen friedlich sein? Ich will das erörtern, wenn es weiter gediehen ist, vielleicht schon morgen.


Es könnte wie gesagt auch für Außenstehende interessant sein, zu erfahren, ob die Philosophie, beziehungsweise die Paradoxie des Aikido, sich umsetzen lässt in den persönlichen Alltag, in das Nachdenken über Konflikte, mehr noch, vielleicht in das politische Denken.

Diese Themen will ich versuchen erzählend und fragend in der zur Verfügung stehenden Zeit einzuholen