Marbach III

Nach „Gymnasium als Förderschule“ und „Vom Erfinden der Hoffnung“ will ich einen dritten Beitrag leisten, der sich direkt und indirekt um das Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach und seine preisgekrönte Arbeit dreht.


Herr Tedesco und Herr Liebscht regten mich mit ihren Kommentaren dazu an. Wie die das genau gemacht haben, die Marbacher, ist den verfügbaren Zeitungsberichten höchstens an einigen Punkten, also exemplarisch zu entnehmen. Aber nüchterne technische Beschreibung ist eine Sache und die viel kompliziertere Realität eine ganz andere. Möglicherweise ist bei diesen Außenbetrachtungen das Eigentliche, auf das es bei der Entwicklung dieser Schule ankommt, überhaupt nicht oder höchstens indirekt zu begreifen.


Was also ist es, das so faszinierend erscheint, wenn es nicht die rational erfassbaren Phänomene sind, wenn also das Geschehen (der ungewöhnliche Erfolg) größer ist als die Summe der bekannten Beobachtungen? Vielleicht liefert das Wissen über das Vorhandensein und Funktionieren der Spiegelneurone in unserem Gehirn eine Erklärung. Der Bericht über die Beobachtung des Erfolgs lässt vielleicht die Synapsen auch bei selbst nicht Beteiligten, ja nicht einmal Anwesenden (den Lesern) feuern, als wären sie selbst mitten drin im Geschehen.


Was mich buchstäblich elektrisierte bei diesem Bericht Martin Spiewaks in der ZEIT vom 30. April, war die Erinnerung an eigenes Erleben. Die Nachricht aktivierte gewissermaßen ein vertrautes Feld. Ich habe selbst in einem kleineren, bescheideneren Maß vor vielen Jahren genau die gleiche Erfahrung gemacht. Es funktionierte, dass ich den neuen Fünftklässlerkindern bei der Begrüßung versprach: „Alle schaffen es. In sechs Jahren macht ihr alle die Abschlussprüfung. Und wenn der eine oder andere sieben Jahre braucht, macht das auch nichts. Wir Lehrer geben uns gemeinsam alle Mühe, dass ihr das Ziel erreicht. Gebt ihr euch ebenfalls alle Mühe, dann werden wir es gemeinsam schaffen.“ Voraussetzung bei mir war nie zu vergessen, was ich den Kindern versprochen habe. Das ist aber keine intellektuelle, sondern eine emotionale Angelegenheit, die jedoch für das Funktionieren des Systems keinesfalls weniger bedeutend, ja vielleicht noch bedeutender ist als ein intellektuell nachvollziehbarer Lehrsatz. Ich setze als verantwortlicher Erwachsener meine ganze Empathie ein und schenke den Kindern Vertrauen in ihre eigene Kraft es zu schaffen. Ebenso wichtig sind möglichst viele Mitstreiter, die so viel Vertrauen vorbehaltlos mittragen und es nicht heimlich konterkarieren. Das ist übrigens der Tod vieler sinnvoller Ansätze, dass heimlicher Widerstand im Untergrund die guten Bemühungen aushöhlt, ehe sie die Chance zur Bewährung erhalten. Das Ziehen einer Kollegiumsgruppe an einem Strang ist in vielen deutschen Schulhäusern dem Rest der Truppe suspekt. Es gehört viel Fingerspitzengefühl dazu, das fragile Spiel bruchlos durchzustehen und mit immer neuer guter Nahrung zu versorgen. Ich denke beispielsweise da an die „guten Nachrichten“ über die so erfreulichen Fortschritte einzelner Kinder, an überraschende kleine Zwischenerfolge usw. Was mich also elektrisierte, war das Aha-Erlebnis: Schau her, es funktioniert auch bei anderen und zwar in bedeutendem Maß.


Für das Gelingen der Schulreform im Großen ist vielleicht nichts wichtiger als die Verbreitung guter Beispiele wie dieses hier. Gelingen braucht Vertrauen, bis es soweit ist. Und es stiftet Vertrauen, wo es zu beobachten ist. Was die Marbacher fertig bringen, können wir auch! Von gelingenden Beispielen geht eine starke positive Kraft aus. Auch auf dem Weg zum Erfolg. Es muss sich herumsprechen, was funktioniert, dann kann es ansteckend oder auch als Vorbild wirken, dem andere vertrauensvoll folgen können.