London ist und ist nicht in Maribor

Heute begann die Soziokybernetiker-Konferenz in Maribor mit einer Schweigeminute für die Opfer der Anschläge von London. Viele der Teilnehmer haben Freunde, Bekannte und Verwandte, die in London leben. Schon gestern Abend kursierte die Notfallnummer der Londoner Polizei, bei der man sich nach den Namen der Toten und Verletzten erkundigen konnte. - Irgendwie hilft es da auch nicht sich zu sagen, meine Freunde in London sind Snobs, die niemals die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Wer weiß, vielleicht war gerade gestern das erste Mal.


London ist so weit weg und doch so nah. - Marielena war völlig aufgelöst gestern Abend beim Konferenz-Dinner. Die elegante ältere Dame mit dem rumänischen Akzent fürchtet um ihre Freunde in London. Davon gibt es nicht mehr viele, die meisten sind in den vergangenen Jahre weggestorben. Die wenigen, die verbleiben, sind sehr wertvoll und sie fahren U-Bahn. Wir haben uns um Marielena gekümmert, sie ermuntert, nicht allein ins Hotel zu gehen, sondern mit uns zu den Abend zu verbringen. Wir haben viel voneinander erfahren, von ihrer Geschichte, als die Mutter mit ihr aus Russland floh und der Vater, der zurückgeblieben war, getötet wurde, und dann die Wiederholung der Geschichte, als sie mit ihrem Sohn aus Rumänien floh und ihr Mann, der zurückblieb, getötet wurde. Seit mehreren Jahren driftet Marielena nun wurzellos durch Westeuropa. Die Wissenschaft ist ihr Zuhause. Ohne ihre Freunde jedoch wäre sie hilflos, ohne Halt. Die wenigen, die verbleiben, leben in London. - Aber vielleicht hat sie seit gestern Abend einige Freunde mehr, Cezlaw aus Polen, Tjascha aus Slowenien, Philippos aus Griechenland und Louis aus Deutschland. Wir sind uns alle ein wenig näher gekommen.


London (dpa) – „Die Londoner haben mit der gleichen Gefasstheit reagiert wie in früheren Zeiten auf Terrorattentate etwa der pro-irischen IRA. Auch die selbst in übervollen Zügen sehr auf Individualität bedachten Reisenden hätten einander in der Not geholfen, Verletzte versorgt und Verängstigte getröstet, berichteten Augenzeugen im Fernsehen. Die Heilsarmee versorgte Helfer im Rettungseinsatz mit Sandwiches und dem unverzichtbaren Tee. Aber auch Privatleute sollen gelegentlich ihre sonst sorgsam verschlossenen Türen für Wildfremde geöffnet haben, um ihnen Getränke anzubieten oder sie telefonieren zu lassen.“


London (dpa) – „Einen Tag nach der Anschlagserie in London fahren die ersten U-Bahnen wieder fahrplanmäßig. Auch Taxis und die ersten Busse sind seit Beginn des Berufsverkehrs wieder unterwegs. - Die Weltbörsen haben die Terroranschläge von London trotz erster Panikreaktionen schnell verdaut. So starten US-Börsen freundlicher als erwartet.“


Nach der Schweigeminute geht die Konferenz weiter, so wie im Programm ausgewiesen. Marielena hat mir heute Morgen ein Feuerzeug geschenkt. Wir werden nachher eine zusammen rauchen, so wie gestern Abend.