Liebes Tagebuch,

nun bin ich also dran und weiß immer noch nicht, was ich schreiben will. Hatte ja lange genug Zeit, bin aber etwas aus der Übung, seit ich das letzte mal in ein Tagebuch schrieb. Es muss vor 48 Jahren oder so gewesen sein.


In den frühen Morgenstunden der letzten Nacht habe ich einen überfälligen Buchbeitrag abgeschlossen, tagsüber in der Klinik, am späten Nachmittag Vorstand Langenfelder Institut, und heute abend tagte unsere Kölner Gruppe. So scheint es dauernd zu gehen. Ob ich mich jemals besser organisiere?


Mein Traum: Vom Gehetzten zum Reisenden.


Ich habe schon einige Ideen, was ich hier schreiben möchte; Dinge, die mich umtreiben, und für die ich nicht so recht Gesprächspartner in meinem Alltag finde. Auch Politik, oder Fachliches. Ich weiß aber noch nicht, wie weit ich ins Persönliche gehen möchte, immerhin gibt es ein anonymes Publikum. Ich muss erst ein Gefühl dafür entwickeln.


Überhaupt möchte ich lieber aus dem Bauch schreiben, ohne Rücksicht auf Brillianz oder Correctness.


Zu meinem Traum gehört, das Krankenhaus möglichst vor der Zeit zu verlassen (wenn ich's mir leisten kann, wir haben spät gebaut). Die jungen Kolleginnen und Kollegen sind super, die meisten Patienten auch (einzelne beschäftigen uns allerdings massiv und führen uns unsere Grenzen vor Augen - systemische Zauberei hilft leider auch nicht immer -, das ist zeitweise anstrengend); aber das bürokratische Element meiner Tätigkeit gibt mir zunehmend das Gefühl kostbare Lebenszeit zu verschwenden. Und immer jemandem gehorchen zu müssen, den Dienstanweisungen, den Chefs, den Chefs der Chefs; das ist zwar normal, ich vertrage es aber immer schlechter. Zu meinem Traum gehört Freiheit.


Gerade habe ich die Nachricht bekommen, dass Heinz gestorben ist. Ich kannte ihn kaum, weiß aber, dass viele ihn liebten. Seine sprühende Lebendigkeit, sein unkonventioneller Humor sind mir eindruckvoll in Erinnerung. Er war 7 Jahre älter als ich jetzt (ich hätte ihn jünger geschätzt).


Meine Ungeduld hängt wohl damit zusammen, dass in meinem Alter die Endlichkeit unübersehbar ist, und gleichzeitig das Gefühl: da kann und soll aber noch was kommen. Immer noch was säen, um später noch ernten zu können. Vielleicht kommt das Gehetzte daher. Bestimmt.


Es ist wieder spät geworden, und ich möchte jetzt zu meiner Liebsten in die Kissen schlüpfen.


Gute Nacht, liebes Tagebuch