Lieber Himmel hilf...
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### **Lieber Himmel hilf .... mir auch, bitte** ###
Es ist Montagmorgen und die Woche beginnt genau so, wie ich mich fühle: im Chaos.
Die Deutsche Bahn, Inbegriff deutscher Wertarbeit und der Werte Pünktlichkeit,
Zuverlässigkeit und Genauigkeit ;-) hat meine Fahrkarten trotz elektronischen
Bestellung storniert. Da frage ich mich wirklich in welcher Welt lebe ich eigentlich
und wie geht das? Jetzt sind es aber nur noch fünf Minuten bis mein Zug fährt - also
`raus aus den virtuellen Welten und weg von Leistungsversprechen, rein in die
Schalterhalle, (etwas) vordrängeln und nochmals eine Fahrkarte kaufen, Koffer in
die Hand und Füße unter die Arme nehmen. Los spurten. Uff ... gerade noch geschafft.
Den letzten freien Platz im Abteil bekommen, denn mit Reservierung war nichts mehr.
Uff ... geschafft, so fühle ich mich momentan – auch im Generellen. Nur so als kleiner
Hinweis für den interessierten Leser. Jetzt sitze ich also doch noch im Zug und während
die Welt draußen am Fenster vorbeizieht, tobt sich gerade in meiner inneren Welt ein
Wirbelsturm aus. Sah es zur Jahreswende noch so aus, als sei die Trennung von meiner
Frau eine Lösung, als sei ein Neuanfang mit Gelassenheit möglich, so erweist sich dieser
Eindruck jetzt als trügerisch. Denn mittlerweile liegt die Frage nach der Schuld für das
Ende der 21jährigen Beziehung in der Luft. „Du hast dieses und jenes in unserer Partner-
schaft nicht gemacht, Du hast mein Vertrauen hintergangen, Du hast mich maßlos ent-
täuscht, Du hast ...“ Schuld kann ich nicht sehen, aber wir sind uns sicherlich einiges
schuldig geblieben. Es ist nicht der Kontostand, es sind die über viele Jahre angehäuften
kleinen und großen Verletzungen. Unerfüllte Erwartungen, Missverständnisse, Alltags-
fluchten und nicht geteilte Vorstellungen haben sich verhärtet? Emotionales Narben-
gewebe hat die einst so lebendige Beziehung eingehüllt und fest im Griff. Die Sprache (hat)
versagt und die geteilte Sprachlosigkeit macht der Erkenntnis Platz (gemacht), dass (sich)
die einst gemeinsam gedachte Zukunft nicht stattfinden wird. Das schmerzt und drückt
aufs Gemüt.
Die Kehrwoche kommt also gerade zum rechten Zeitpunkt. „Aufräumen und Platz schaffen
ist ein wesentlicher Schritt auf der Suche nach einem neuen Partner.“ schreibt
Daan van Kampenhout. Jetzt will ich nicht vorausgreifen, aber eins scheint klar und ist ja
schon jahreszeitlich angesagt: der Frühjahrsputz steht vor der Tür.
In meinen Fall handelt es sich dabei um einen Frühjahrsputz in der inneren Behausung.
„Wenn Deine Beziehung erst seit kurzem beendet ist oder Du Deinen Partner verloren hast,
kann es ratsam sein, Dir zunächst Zeit zu nehmen und zu lernen, wieder für Dich selbst zu
sorgen.“ Was dieser Satz wirklich bedeutet, spüre ich erst jetzt: nicht nur Geschirr spülen,
Wäsche waschen, saugen und einkaufen. Ich muss jetzt emotional für mich selbst sorgen.
Leicht gesagt, wie immer liegt die Herausforderung in der Anwendung, im eigenen Erleben.
Aussortieren und wegbringen, ausräumen und aufräumen, ein klarer Schnitt steht an. Das
kenne ich nur zu gut aus dem beruflichen Kontext. In diesem Fall betrifft es mich aber noch
unmittelbarer. Sich von Liebgewonnenem zu trennen, auf Altvertrautes zu verzichten ist
schon anspruchsvoll genug, aber noch mehr fordert mich die Erfahrung, dass der Boden
unter den Füssen schwankt, dass das Selbstbewusstsein ins Wanken gerät und die Welt um
mich herum eine ungeahnte Komplexität bekommt. Die gedachte und emotional verankerte
Ordnung der Erfahrung löst sich in einer Welle (ach Quatsch, reden wir doch Klartext, in
immer wieder anrauschenden Wellensets) von Gefühlsschwankungen auf. Meine Welt ist
mächtig in Bewegung geraten.
###+ + + SOS + + + SOS + + + SOS + + +###
Stopp und Halt!!! Eins hatte ich beim Schreiben dieser Zeilen gänzlich verdrängt:
Ich bin Windsurfer und als solcher habe ich diese Situation erwartet, ja sie wurde geradezu
herbeigesehnt. Wenn es richtig fetzt und kracht, die Bäume sich biegen, der Sand fliegt,
beginnt bei unserer Spezies das Adrenalin in den Körper zu spritzen. Weiße Wellenkämme
und fliegendes Wasser werden zur Verheißung. Heranrauschende Wellensets kündigen die
Abschussrampen für meterhohe Sprünge und Freudenschreie an. Hier wird der Traum vom
Fliegen wahr, die Freiheit, bevor mich die nächste Böe auf das Wasser schmettert. Leben pur!
Nicht dass irgendetwas dadurch besser würde, aber auf jeden Fall wird es anders. Ich hoffe
darauf, dass ich aus dieser Situation wieder auftauche, mehr oder weniger zerknüllt und
durchgespült. Aber auch mit einem Lächeln auf den Lippen und der Gewissheit darauf ver-
trauen zu dürfen, dass ich alles bei mir habe, um mit dieser Situation umgehen zu können.
Mal sehen, vielleicht weiss ich dazu bei unserer nächsten Begegnung schon mehr.
Machen wir für diese Woche also Fenster und Türen auf, räumen wir Haus, Hof und Garage
aus und fahren wir dann an die See, riggen unser kleinstes Segel auf, schrauben die passende
Finne ans Brett (wahrscheinlich wird es bei mir eine 19,6 cm Wavefinne sein), streifen uns
den Neopren über und dann rein in die Fluten und rauf aufs Brett.
Jetzt bleibt angesichts der tobenden Wassermassen nur noch ein letzter Blick nach oben und
der Wunsch, mit dem mein Freund und Kollege Hans Geisslinger seinen Weblog am
1. August 2005 gestartet hat: „Lieber Himmel hilf....“ Da kann ich nur sagen:
“ Lieber Himmel hilf ... mir auch, bitteeeeeee.“