Lehrerimage

Ich will hier einmal für die Lehrer eine Lanze brechen. Das erscheint mir angebracht, zumal dieser Berufsstand auch und gerade in der Carl-Auer-Gemeinde ganz offensichtlich nicht das beste Ansehen genießt. Der Grund scheint einfach: Kaum jemand, der nicht in seiner Jugend schlechte Erfahrungen mit Vertretern dieser Spezies Mensch machen musste! Mich eingeschlossen! Vor inzwischen mehr als einem halben Jahrhundert, als ich meinen Dienst als Junglehrer antrat, hatte ich mir deshalb vorgenommen, ein ganz anderer Lehrer sein zu wollen als die, die mir als besonders ungerecht, unfähig, kauzig, gewalttätig, gemein, kurz: verachtenswert begegnet waren. Wahrscheinlich geht es vielen jungen Kollegen so. Mich aber beschäftigt das Vorhaben noch immer.


Das soeben 60 gewordene Grundgesetz hatte bis zum April 1955 kaum seine Leuchtkraft entwickelt. Von Liberalität war zum Beispiel im Verhältnis zwischen Schulaufsicht und Lehrern wenig zu spüren. Im Gegenteil! Fast alle Schulräte führten ein stures Regiment, waren bei den Junglehrern landauf, landab gefürchtet. Ich selbst hatte für mich persönlich tief verinnerlicht, dass der einzelne Lehrer über ein gewisses Maß an pädagogischer Freiheit verfügt, dass er also Verantwortung für sein Tun übernehmen soll. Rundum sah ich eher das Gegenteil: Kollegen, die bemüht waren, bei ihren Vorgesetzten bloß nicht anzuecken. Doch es gab damals eine kurze Zeit lang eine interessante Entwicklung: Wenige Jahre schien die Welt der Schule in der ganzen Bundesrepublik offen für Neues. Die Reformpädagogik der Weimarer Zeit wurde wiederbelebt – und alsbald von der Studentenbewegung als „faschistoid“ in die rechte Ecke gedrängt. Die drohende „Bildungskatastrophe“ (G. Picht 1964) löste eine Welle der Reformen aus. Hauptstreitpunkt war alsbald die Organisationsstruktur der Sekundarstufe I. Alle gemeinsam in eine Schule oder Beibehaltung und Ausbau der Dreigliedrigkeit? Die Frage zerriss die Bildungsidylle, führte zu einem nicht von ungefähr Jahrzehnte dauernden ideologischen Streit, der bis heute nicht beendet ist. Die Lehrer, zuerst Frontkämpfer in diesem Bildungskrieg, sind über diesen Streit in eine merkwürdige Rolle geraten. Ihre Meinung dazu interessiert heute kaum jemanden. Sie sind gesellschaftlich marginalisiert.


Die Studentenunruhen der späten 1960er Jahre hatten für eine ganze Lehrergeneration tiefgreifende Folgen. Während 1969 die sozialliberale Koalition unter Willy Brandts Motto „mehr Demokratie wagen“ gestartet war, hatten sich viele der „68er“ radikalisiert. Ihr Vorhaben eines Marsches durch die Institutionen stieß auf eine entschiedene Abwehr durch ebendiese: Am 28. Januar 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder zusammen mit Bundeskanzler Willy Brandt, künftig alle Zugangswilligen zum öffentlichen Dienst auf Ihre Loyalität zur demokratischen Verfassung zu überprüfen. Der große Personalbedarf im rasch expandierenden Bildungswesen bewirkte, dass von diesem Radikalenerlass ganz besonders die jungen Lehrerinnen und Lehrer betroffen waren. Vor der Frage Freiheit oder Lehrer, entschieden sich sehr viele der damals jungen Wilden fürs Krötenschlucken. Das generalisierte Misstrauen, wie es in diesem durchbürokratisierten Routineverfahren zum Ausdruck kam, hat aber viel weiter reichende Folgen. Es würde sich gewiss lohnen, diese einmal eingehend unter die systemische Lupe zu nehmen und wissenschaftlich zu untersuchen. Für mich ist klar, dass man mit diesem brutalen Verfahren einer ganzen Lehrergeneration das Bewusstsein deformiert hat. Das Verfahren wirkt noch immer nach, auch wenn es Willy Brandt selbst später als schweren Fehler bezeichnet hat und die Routineanfrage beim Verfassungsschutz 1979 wieder abgeschafft worden war. 2004 war ein angehender Realschullehrer aus Heidelberg wegen seiner Mitgliedschaft in einer antifaschistischen Gruppe abgelehnt worden. Erst durch eine höchstrichterliche Entscheidung gegen das Land erreichte er 2007 seine Einstellung in Baden-Württemberg.


Ein weiteres Problem beeinträchtigt den aufrechten Gang der heutigen Lehrer: Seit Ende der 1970er wurden nie mehr alle Lehrer eingestellt, die ihre Vorbereitungen auf den Beruf abgeschlossen hatten und Einlass in den Schuldienst begehrten. Über viele Jahre war es extrem schwierig, überhaupt eine Stelle zu ergattern. Wer es endlich geschafft hatte, hatte unter dem Ochsenjoch dieser Bemühungen eher seinen aufrechten Gang verloren, als dass er mit Feuereifer auf die Neugestaltung und Reform der Schule losgehen mochte. Wenn manche Kritiker der Schule angesichts von einem runden Drittel Lehrer im Zustand des Burnout feststellen, die könnten gar nicht ausgebrannt sein, weil sie noch nie gebrannt haben, ist das eben nur zum Teil richtig. Die sind teilweise schon ausgebrannt, wenn sie endlich im Dienst angekommen sind.


Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man diesem Dilemma begegnen könnte, zumal als weiteres Problem die vielerorts extrem schwierigen Bedingungen am Arbeitsplatz dazu kommen, von denen derzeit viel die Rede ist. Jedenfalls scheint es an der Zeit, dass man sich über den Kreis der Betroffenen und ihrer Gewerkschaft hinaus Gedanken macht darüber, wie man das Potenzial entfesseln kann, das in diesem Apparat derzeit eingeschnürt ist. Mit Lehrerschelte geht das nicht! Das musste hier mal in die Debatte geworfen werden!


Ich fände es wunderbar, wenn die Leser dieses Beitrags sich davon und überhaupt anregen ließen, meinen missverstandenen, bedrückten und kleingläubigen Kolleginnen und Kollegen etwas Mut zu machen, sich auf ihre wirklichen Fähigkeiten und vor allem auf die Ziele zu besinnen, die sie einst zur Wahl dieses Berufs veranlassten. Es war bestimmt nicht in erster Linie die Suche nach Sicherheit. Wohlan denn! Wir können was bewegen, wenn wir nur wollen!