"Leadership"

Meine eigene emotionale Reaktion während der Beobachtung des Parteikongresses der Demokratischen Partei in den USA - vom subdepressiven Pessimismus zum milden Optimismus, scheint mir Grund genug, ein wenig über das viel diskutierte Thema "Leadership" zu philosophieren. Wie konnte sich aufgrund der Rede von Barack Obama meine Stimmung so ändern?


Der Begriff "Führer" ist in Deutschland ja zu Recht nicht wirklich gesellschaftsfähig. Und die Idee eigentlich auch nicht (bravo!). Und wer würde nicht Reichsparteitags-Assoziationen entwickeln, wenn ein Mann eine Rede vor 85.000 Zuschauern in einem Stadion und 38 Millionen am Fernsehapparat hält und sich dabei die eigenen Emotionen wandeln?


Hier ist ein Phänomen der Massenpsychologie zu studieren, das m.E. durchaus ambivalent zu bewerten ist: die Gleichschaltung der Gefühle einer Masse von Menschen. Der Mechanismus besteht darin, dass eine dyadische Kommunikation - ein Redner/ein Zuhörer - vervielfacht wird. Auf diese Weise wird es möglich, dass Millionen von Leuten dieselbe Fokussierung der Aufmerksamkeit und evtl. ähnliche psychische Prozesse durchlaufen. Eine Art kollektiver Trance. Im Gegensatz zu Organisationen, wo Tausende von Leuten in ihrem unterschiedlichen (!) Handeln, Fühlen und Denken koordiniert sein können, werden bei Massenveranstaltungen (z.B. in Stadien) Tausende in einer Weise in ihrem Fühlen, Denken und Handeln koordiniert, dass sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dasselbe fühlen, denken und tun.


Hierin liegt die Chance und das Risiko solcher Inszenierungen (denn darum handelt es sich ja), denn diese Mechanismen können ja zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden.


Soviel zur Vorrede.


Was hat das alles nun mit der Leadershipfrage zu tun? Sie stellt sich im Kontext von Organisationen ja meist als Frage, ob man zwischen Management und Führung unterscheiden kann/muss.


Management ist mit konkreten operativen Fragen beschäftigt, was ist Funktion von Führung?


Die - sicher verkürzte - Antwort lautet: Führung eröffnet eine weitere, abstraktere und emotional relevante Perspektive, die es Menschen erlaubt, sich mit einem sozialen System (bzw. dessen Zielen) und miteinander zu identifizieren. Sie beantwortet Sinnfragen.


Management ist hingegen mit der Umsetzung und der Organisation des konkreten Handelns zum Erreichen solcher Ziele verantwortlich.


Beides sind Funktionen, die nicht unbedingt Personen oder Rollen zugeordnet sein müssen (auch wenn sie meist so gedacht werden).


Was Obama in seiner Rede gemacht hat, ist, dass er neben die vielen eher ideellen und abstrakten, d.h. wenig konkreten, Führungsbotschaften, die seine Vorwahl-Kampagne bestimmt haben, nunmehr konkrete Projekte benannt hat. Er hat die Managementebene nachgeliefert hat. Er ist heruntergestiegen aus der Höhe der blasigen Versprechen und hat zumindest die Phantasie geweckt, dass er Vorstellung und Pläne hat, wie er seine Ziele konkret erreichen kann.


Und das war es, was meine Emotionen gewandelt und mir Hoffnung gegeben hat.


Mein Folgerung ist, dass Leadership (wenn wir den Begriff beibehalten wollen) immer beides braucht: die ideelle Perspektive, die Sinnvermittlung, und die konkrete Umsetzungsidee, das operative Projekt, das es ermöglicht, sofort die Ärmel aufzukrempeln und zu handeln