Krieger

Innerer Krieger


Carlos Castaneda hat in seinen Büchern die Eigenschaften des *inneren* Kriegers referiert. Ich habe damals mit großer Begeisterung darin gelesen. Jede Jugend hat ihre so genannten Kultbücher, wo drin steht, was man hören will und/oder was Eltern und Religion einem über das Leben seltsamerweise verschweigen. Vermutlich, damit man es selbst entdecken kann.


Aikido definiert die physische Schulung des *äußeren* Kriegers/der Kriegerin, wie er und sie in der Gegenwart, fernab von Feudalkultur und tödlichem Zweikampf, sich heute entwerfen kann.


Vielleicht unterscheiden sich Innen und Außen gar nicht so sehr, wenn das Innen zum Außen durchtönen kann (personiert)? Ich habe vor das hier für Sie zu untersuchen und will dabei weiter so tun, als ob Aikido für jeden von innerem und äußerem Interesse wäre, jeder darüber Bescheid wissen müsste, um es selbst zu entdecken.


Die Schule des Kriegers, der Weg der Aikidoka ist .ein Weg der Körperlichkeit und des äußersten physischen Einsatzes und er erzeugt nach und nach eine dem Körper folgende Geistigkeit. Was man zu tun hat, tut man ja zunächst unreflektiert, wie es vorgezeigt wird und verinnerlicht mit der Zeit die komplexen Körperkoordinationen der vielfältige, ja zahllosen Formen.


Schritt für Schritt kommt man auf diesem Weg immer näher dahin, sein Tun und was dahinter steckt auch zu verstehen. Man grenzt sich ab, indem man sich nicht abgrenzt. Man bleibt bei sich, indem man der Bewegung des Angreifers folgt. Man gibt nicht nach, indem man nachgibt. Man nimmt die Energie des dynamischen Angriffs auf und führt sie ins Leere und im selben Zug zu Boden.


Selbstbehauptung/Selbstverteidigung verlangt und schult die Konditionierung des Köpers und schlafwandlerische Sicherheit, sich adäquat zu bewegen. Die richtigen Schritte (*right movement*) und dabei den richtigen Abstand (*mai ai / right distance*) zum Gegenüber zu wahren und dennoch immer mit ihm in spannungsvoller Verbindung zu bleiben (*connection*) - entweder körperlich auf ihn zugewandt oder durch Blickkontakt - , retten das eigene Leben, indem so die Gelegenheit wahrgenommen werden kann die Attacke gegen den Angreifer selbst zu wenden.


Das Training dient einzig und allein der körperlichen Vorbereitung auf den Ernstfall, das heißt für den Fall eines Angriffs körperlich trainiert und geistig vorbereitet zu sein, und das heißt präsent, von Kopf bis Fuß mit **Ki** zu strotzen. Wichtig ist dabei das richtige Fallen vorwärts und rückwärts (*Ukemi*)- das gezielte Wegrollen vom Gegner und sofort wieder zu stehen.


*Ukemi* vorwärts ist ein wesentlicher, der heitere Teil des Trainings. *Ukemi* rückwärts die schwierigste, anstrengendste Konditionierung, die in die Oberschenkel geht. Es dient dem Selbstschutz, - dem Nachgeben - und der Auslotung der Möglichkeit des erneuten Angriffs.


Als Angreifer (*Uke*) ist man derjenige, der sich der Technik des Selbtverteidigers/Werfers (*Tori/Nage*) aussetzt und dieser scheinbar nachgibt. Ist der *Uke* schnell, kann er eine mangelhafte, uneindeutige Technik des *Tori* auch zu seinen Gunsten wenden. Im normalen Training übt man die Technik jedoch einseitig und im Wechsel der Rollen und bringt/wirft den Angreifer mit der vorgezeigten Technik zu Boden und fixiert ihn dort korrekt und nachhaltig, bis er abschlägt.


Das ganze System der möglichen Techniken ist intelligent und raffiniert. Sie wirken, von Meistern dargeboten, in ihrer Direktheit und Stringenz auf den Beobachter kühn, elegant und sophisiticated. Wenn Sie an DVDs mit Toni Cassells interessiert sind, um sich selbst ein Bild davon zu machen, bin ich gerne bereit diese zu vermitteln.


Morihei Ueshiba (auch O Sensei genannt), legendärer Meister des Schwertes, leitete die von Ihm entwickelte Kampfkunst vom Speer- und Schwertkampf und von *Jujutsu* ab, beziehungsweise erfand er (z.B. *Irimi Nage*) oder modifizierte er effiziente Hebel und traditionelle Techniken, die unter anderem dazu dienten, den Gegner von Messer, Schwert oder Speer zu entledigen.


Unter der bis dahin unbekannten Bezeichnung AI KI DO (AI=Harmonie, KI=Lebenskraft, DO=Tun) definierte O Sensei in der reifen Mitte seines Lebens, 1943, aus seiner Lebens- und Kampfkunsterfahrung eine "neue" Kampfkunst als reine Verteidigungskunst. Auf Grund der Ereignisse des 2. Weltkrieges, begründete er sie ausdrücklich zur Förderung des Friedens, was mir außerordentlich bemerkenswert erscheint.


Die Philosophie des Aikido, es gibt zahlreiche Literatur darüber, besteht wie schon angedeutet in der Betonung de Friedens. Das ist allerdings die oft eher oberflächliche und verwässernde Definition, die ganz unverbindlich und ohne Inhalt kolportiert wird. Tatsächlich besteht die Philosophie des Aikido in der Paradoxie, dass, grob gesagt, Frieden durch Krieg, Leben durch Tod ermöglicht wird.


Diese Lektionen scheinen wir Abendländer philosophisch hinter uns zu haben. Dies alles gehört auch scheinbar der Geschichte an und nicht mal der unseren und erscheint uns deswegen zu einem beträchtlichen Teil unzeitgemäß. Das mag in mancher Hinsicht zutreffen. Keinesfalls jedoch in allen Hinsichten. So umkreisen die Martial Arts ganz allgemein, im Besonderen Aikido, Themen, die uns im Westen aus unterschiedlichen Gründen ungemein interessieren können:


Das Thema der Meisterschaft, das Thema des Übens, der Selbstüberwindung, der Selbstdisziplin, der Selbstbehauptung, der Selbstdistanz, der Selbsttranszendenz, der Selbstverleugnung, der Todesverachtung, das Thema des Tötens, des Krieges, des Friedens – nämlich des Frieden stiftenden Kampfes – damit das Evidentwerden des Grund-Themas von Aikido, nämlich der Paradoxie, auf der es gründet. Alle hier aufgezählten Themen können wir auch als verschüttete Tugenden des Abendlandes wieder entdecken.


Doch die hier angeschnittenen Thematiken, besonders auch die Vorstellung der lebenslangen Schüler-Bindung an einen Meister, somit das Thema des speziellen, fernöstlichen Lehrer/Schülerverhältnisses, fallen uns im Westen in der Praxis und als Denkgegenstände bereits außerordentlich schwer. Der Gehorsam des Samurai gegenüber (s)einem Fürsten ist Geschichte, außerdem als Vor-Bild, spätestens seit dem Nationalsozialismus und seinem mörderischen „Führerprinzip“, im Westen verpönt.


Im westlichen demokratischen Verständnis sind wir alle gleich. Aber, dass wir es nicht wirklich sind, wissen wir auch. Wir haben, diesem Umstand folgend, und zur scheinbaren Lösung dieses Widerspruchs „Gott“ getötet und stattdessen den Begriff der „Menschenrechte“ erfunden. Wir halten sie recht und schlecht ein und brauchen uns dafür, gerade aus diesem Grund, nicht um das kümmern, was den Menschen überhaupt erst zum Menschen macht: Seine umfassende, durchdringende Bildung. Seine Ausbildung zur verantwortlichen Selbstbestimmtheit. Seine Fähigkeit zur Disziplin, zu den Künsten, zur Kreativität.


Übrigens: nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang der Gesichtspunkt der Höflichkeit, das heißt der Anerkennung und Wertschätzung des Anderen, beziehungsweise der Etikette, beides innere Haltungen, und diese Haltungen stützende „Formen“, auf die wir im Westen leichten Herzens verzichten, die in Asien eine wichtige Rolle spielen. Für all dies will ich sozusagen hier eine Lanze brechen.


Oben Aufgezähltes, - alles zusammen sehr verschiedene Tugenden - , die teils den westlichen demokratischen Errungenschaften oder Auffassungen zuwiderlaufen, dem Aufgeklärten oft ein Gräuel sind und ihn von den Martial Arts befremdet fernhalten, Fähigkeiten, die ihm/ihr jedenfalls oftmals völlig abgehen, die er sich sozusagen nicht freiwillig aneignet, denen er sich bestimmt nicht unterwirft, die er bestenfalls unter dem Druck wirtschaftlicher Notwendigkeiten oder sonstiger Kalküle notgedrungen auf sich nimmt, und an denen er meistens scheitert, wenn er nicht von rar gewordenen Eltern erzogen wurde, die einem Wertekanon folgen, der dem kleinen Kind und jungen Menschen Werkzeuge an die Hand gibt, das Beste aus sich herauszuholen.


Wenn ein junger Mensch einerseits dazu erzogen wurde, sein Ego zugunsten von Selbstüberwindung und Altruismus zurückzustellen und andrerseits dabei zugleich gerade dazu angehalten wurde, ein Ziel mit Disziplin und Engagement zu verfolgen, komme, was da wolle, dann kann das Innen zum Außen hindurchtönen und der Mensch wird zur von Innen heraus gebildeten Person.


Martial Arts wären so gesehen Künste (Künste unter anderen Künsten) und damit Werkzeuge der Selbst-Erziehung – spätestens eines/einer bereits Erwachsenen. Sie wären so gesehen stimmige Möglichkeiten (unter vielen anderen Möglichkeiten) , die Person von außen und innen her zu bilden und ihre Potentiale zu entfalten.


Die "Person" wäre durch diese, beziehungsweise jede angenommene Disziplin keine hohle Charakter-Maske (Persona gr.: Maske), - ein Bild, das wir uns gern von uns zeichnen - , sondern die Person würde eine geformete, erwachsene Person, sozusagen durch den von innen nach außen hindurch dringenden, gehörten und für wahr genommenen Wunsch nach Selbst-Bildung. Sie trägt von „innen“ nach „außen“ etwas durch, nämlich den Wunsch nach einer übermäßigen Anstrengung und nach Schwerkraft bedingter Erdung, etwas, das durch sie auf die unterschiedlichste Weise hindurch-tönt (persono) und sie als einmaliges lebendiges Kunstwerk (im Gegensatz zum Bild der Charaktermaske) kreiert.


Wenn ein Individuum, das diese Feedbackschleifen des Hörens ja ständig durchläuft, sie bewusst lautstellt, (es handelt sich dabei um eine rückbezügliche Schleife, die auch den/die Anderen der Umwelt mit umfasst), dann ist es ganz bei sich, erfüllt sich in sich und damit zugleich im Anderen.


Um dieses Rätsel zu lösen, muss ich mir darüber klar werden, warum ich eigentlich erscheine, und worauf ich operiere und warum der Andere erscheint.... (Hegel macht irgendwo die Bemerkung über die Leere, die man sehen kann, wenn man einem Menschen lang genug in die Augen schaut)


Wie wird ein Krieger erzogen, bei dem es tatsächlich und ganz offensichtlich um Leben und Tod geht? Was ist ein Samurai? Darüber möchte ich morgen erzählen.