Konzert-Rituale

Vorgestern Abend war ich bei einem Konzert. Jessye Norman sang in der Berliner Philharmonie. Die Karten waren ziemlich teuer, und deswegen war der Saal auch nur zu etwa Zweidritteln besetzt. Wir waren zu viert und haben uns noch vor Beginn des Konzerts (wie viele andere auch) nach unten auf die teuren Plätze gearbeitet. Dabei haben wir insgesamt pro Person sicher ca. 80 Euro gut gemacht, schätze ich... Aber das ist nicht das, worüber ich eigentlich schreiben wollte.


Was mich faszinierte, war - neben der Sängerin, die beeindruckend war - das Publikum und sein Verhalten. Ich habe noch nie ein so merkwürdiges Publikum erlebt. Das Programm bestand aus einer Vielzahl von Liedern, die jeweils in Zyklen geordnet waren. Und Insider wissen, dass man nicht klatschen darf, bevor der jeweilige Zyklus beendet ist. Das Publikum wußte dies offensichtlich und hat nicht geklatscht. Es stand aber offensichtlich unter großem Druck sich zu äußern, denn nach jedem Lied entstand eine ungeheure Unruhe, es wurde gehustet, geraschelt, Gegenstände fallen gelassen usw., so dass die Sängerin sich die Ruhe des Publikums erst ersingen musste. Was war da los?


Bei ein oder zwei Liedern konnte das Publikum nicht ruhig halten und hat seinem Applausbedürfnis freien Lauf gelassen. In diesen Phasen wurde nicht gehustet. Wer klatscht, hustet offensichtlich nicht, er oder sie lässt auch keine Gegenstände fallen (auch wenn man ja gerade da damit ja rechnen sollte).


Meine These: Jeder fühlte sich eigentlich verpflichtet, der Diva nach jeden Lied Applaus zu spenden und erlebte es als peinlich - als nicht wirklich gewolltes Zeichen der Missbilligung -, nicht zu klatschen. Aber gegen die ritualisierten Applausregeln zu verstossen war auch nicht drin.


Peinliche Situationen werden oft durch Husten und das Fallenlassen von Gegenständen überspielt.


Warum darf man eigentlich nicht zwischen den Liedern klatschen?