Kontextabhängigkeit

Vielleicht geht es anderen ja auch so: Mir fällt in der Selbstbeobachtung auf, wie sehr die Fokussierung meiner Aufmerksamkeit vom Kontext abhängt, in dem ich gerade lebe. Damit meine ich nicht (oder besser: selbstverständlich meine ich das auch, aber das finde ich nicht besonders auffällig), dass ich mich auf meine jeweils aktuellen Interaktionspartner einstelle. Das ist ja selbstverständlich und mehr oder weniger unvermeidbar (leider, manchmal).


Was ich auffällig finde ist, dass sich mein Interesse beim Wechsel eines Landes plötzlich auf dessen Politik etc. richtet. In den zwei Monaten, in denen ich im Sommer in Kanada war, habe ich fast ausschließlich amerikanische Zeitungen gelesen, US- oder kanadische Nachrichtensender im Fernsehen verfolgt etc. Gleichzeitig habe ich kaum mehr ein Interesse an deutschen Nachrichten oder Zeitungen verspürt.


Als Erklärung böte sich an, dass sie schwer zu erhalten sind, und man schon aus Bequemlichkeit eben das verzehrt, was verfügbar ist. Aber das stimmt nicht ganz. Denn ich hatte immer Zugang zum Internet und alle mich interessierenden deutschen Zeitungen bzw. ihre Websites waren/sind ebenso gebookmarkt wie die amerikanischen. Klick ist Klick. Es macht also eigentlich keinen größeren Aufwand, die jeweils ausländischen Zeitungen anzuklicken.


Den ganzen Sommer über habe ich nur ganz selten deutsche Websites angeklickt. Keine Süddeutsche, keine FAZ, keine taz etc. Stattdessen war ich regelmäßig mit der New York Times zugange, der Los Angeles Times, dem Boston Globe etc. Kaum bin ich wieder zu Hause, schon scheinen mich diese Blätter nicht mehr zu interessieren. Kaum mehr Klicks. Stattdessen wieder die anderen.


Natürlich ist das eigentlich alles vollkommen unwichtig. Und ich kann mir die dahinter liegende Logik auch ganz gut erklären. Was mich so überrascht, ist, dass ich diese veränderte Priotitätensetzung nicht bewußt beschlossen habe (soviel zum Thema Bewußtsein). Es ist einfach passiert... Und ich bemerke es mit erstaunen. Falls dahinter eine Rationalität steckt - und ich zweifle nicht daran, so wie ich mich im Laufe der Jahre kennen gelernt habe - sie war mir während ihres Funktionierens nicht bewusst. Und auch jetzt kann ich natürlich nur spekulieren. Denn die bewusste Rationalität von Entscheidungen wird ja immer erst retrospektiv konstruiert.