Kommunikation = Unter-Haltung?

Ist das wirklich so? Kommunikation = Unter-Haltung? Im besten Falle, wahrscheinlich: ja. Man kommuniziert und stellt am Abend, nachdem die Gäste weg sind, fest: Es war ein unterhaltsamer Abend, anregend, inspirierend, und keine verlorene Zeit, d.h. nicht langweilig. Also umgekehrt stimmt die Formulierung ja auf jeden Fall: Unterhaltung = Kommunikation.


Aber es passt ja auch wirklich im umgekehrten Sinne. Es bedarf der Kommunikation, um seinen Unterhalt zu sichern. Unterhalt leitet seine Bedeutung tatsächlich, wenn man den etymologischen Wörterbüchern glauben darf, von "stützen", "darunter halten" o.Ä. ab. Das passt, wie ich finde, gut zur Definition von Kommunikation, die Humberto Maturana liefert, und die gefällt mir eigentlich am besten. Denn er definiert Kommunikation durch ihre Funktion, die er in der Koordination von Verhalten sieht. Und Sprechen bzw. der Gebrauch von Sprache ("Languaging") ist für ihn dann die Koordination der Koordination von Verhalten.


Um seinen Unterhalt zu sichern muss man sich verhalten. Und eigentlich muss man auch das soziale System als dessen Teilnehmer von seinen Unterhalt findet am Leben erhalten. Unterhaltung erhält soziale Systeme, manchmal schafft es sie auch erst.


Das ist nicht die Luhmannsche Definitiion von Kommunikation, soweit sie bei den Selektionen von Information, Mitteilung und Verstehen durch die Teilnehmer an der Kommunikation ansetzt (obwohl dabei natürlich auch Verhalten koordiniert wird). Die Bewältigung des Problems der doppelten Kontingenz scheint mir eher in die Richtung zu weisen, die auch Maturana vorschlägt.


Ich mag Maturanas Sicht so gern, weil sie herrlich konkret ist und jedermann verständlich gemacht werden kann. Es geht beim Kommunizieren, mit anderen Worten, nicht darum, Informationen mitzuteilen und zu verstehen (vom Transportieren ganz zu schweigen), sondern die Teilnehmer an der Kommunikation soweit ruhig zu stellen, dass sie sich in ihrem Verhalten nicht ins Gehege kommen (oder umgekehrt: zu beunruhigen oder gar den Konflikt zu provozieren, die Auseinandersetzung usw., was ja auch immer Auswirkungen aufs Verhalten hat).


Wenn man einen Bekannten trifft und ihn fragt, wie es ihm geht, so erwartet man nicht, dass er seine Krankengeschichte erzählt, und wenn man ihm zum Abschied "Alles Gute" wünscht, so ist das auch nicht wörtlich zu nehmen (denn manches Gute will man vielleicht ja für sich behalten). Der Wunsch dient als Beschwichtigungsformel, wie all die anderen Formeln der Konvention, die "gutes Benehmen" ausmachen. Und das gilt auch für nicht-verbales kommunizieren: Man versichert sich des gegenseitigen Wohlwollens, indem man sich die Hand gibt und damit zeigt, dass man keine Waffe in der Hand hält usw. Man beginnt einen Brief mit "Sehr geehrte(r)...", auch wenn man den Betreffenden für einen unehrenhaften und verachtenswerten Strolch hält, aber dies nicht zum Thema machen will...


Was mir an Maturanas Definition besonders gefällt, ist, dass sie beim Verhalten anfängt, das für unterschiedliche Beobachter beobachtbar ist, und nicht bei den unterstellten Zuschreibungen von Information, die durch die mitteilenden oder verstehenden Teilnehmer an der Kommunikation vollzogen werden (was nicht zu beobachten ist). Denn so lernen wir ja wahrscheinlich alle unsere Muttersprache: Wir unterscheiden Verhalten und interpretieren (=verstehen) es als Mitteilung irgendwelcher Informationen. Aber rein sinnlich wahrnehmbar ist erst einmal nur das Verhalten. Und dann richten wir unser eigenes Verhalten danach. Auf diese Weise kommt es zur Koordination des Verhaltens unterschiedlicher Akteure (z.B. Mutter, Kind, Vater etc.) und aus Interaktion wird so Kommunikation.


Wenn man Texte produziert (hier z.B.), dann beteiligt man sich an der potentiellen Koordination von Verhalten. Sie sind als Einladungen zur Koordination von Verhalten zu verstehen. Wer sie liest, nimmt diese Einladungen an. Und wenn man sich auf diese Weise perturbieren/irritieren (= anregen/stören) lässt, so besteht stets die Gefahr/Chance, dass man sich eine Meinung bildet.