Katrina oder: Auf der Suche nach der zweiten Erde

Vorwarnung: Es geht jetzt noch ein bisschen bergab mit dem Depressionsbarometer. Und für die nächsten Tage, weiß ich auch nicht, ob besseres Wetter in Aussicht steht. Vielleicht ganz zum Schluss – ein happy end?


Eine kleine persönliche Medienkritik:


Eigentlich wollte ich erst ein paar Tage später auf die nicht mehr ganz so aktuellen Nachrichten-Meldungen eingehen, doch die Lektüre des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ haben mich jetzt gedrängt.


Apropos Medien: Früher hielt ich mal den „Spiegel“ für ein lesenswertes und kritisches Medium, mittlerweile kann ich leider in ihm nur ab und an ein paar Zeilen entdecken, die nicht dem allgemein gepflegten Mainstream – wie er beispielsweise, aber nicht beispielhaft in der Bildzeitung propagiert wird – entsprechen. In der taz finden sich da schon – um mal etwas Positives zu sagen – einige lesenswerte und interessante Zeilen mehr, besonders wenn es um ökologische Fragen, die USA oder beispielsweise die UNO geht. Als Radiosender kann ich nur das Deutschlandradio Kultur (früher: Deutschlandradio Berlin. Warum reicht nicht der Name Deutschlandradio? Der Zusatz „Kultur“ klingt doch etwas tantenhaft. Nichts gegen Tanten, insbesondere meine!!) und ab und an „Radio eins“ empfehlen. Mein Lieblingssender ist aber seit einiger Zeit konstant der Deutschlandfunk. So gab es am letzten Freitag eine hochinteressante Sendung, die sich mit dem Thema „Neoliberalismus“ beschäftigte und mich davon abhielt, aus meinem Auto zu steigen, obwohl ich schon längst am Ziel war.


Was habe ich da erfahren? Zum Beispiel auf welche Weise die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, in der zu meinem Erschrecken auch einige Grüne engagiert sind (von der CDU/CSU ist man das ja gewohnt), durch ihre hervorragende Lobbyarbeit (Keine Kunst, verfügt man nur über das not-wendige Kapital!) Einfluss auf die Politik in Richtung Neoliberalismus nehmen und wie die Medien, die sich mittlerweile in wenigen Händen konzentrieren, da kräftig mitmischen. Stichwort: Bertelsmann-Stiftung, die dann auch solche Prestige-Objekte wie die Universität Witten-Herdecke finanziell unterstützte (was einen aber glücklicherweise nicht vor kritischen Köpfen wie Fritz Simon bewahrt).


Ich weiß: Jetzt kommt gleich der Vorwurf „Verschwörungstheoretiker“. „Quatsch“, sage ich da. Schön wäre es ja, wenn es sich um eine Verschwörung handeln würde, dann könnte man ja die entsprechenden Akteure aufspüren, anklagen und einem gerechten Urteil – wie zum Beispiel einem praktisch erfahrbaren Perspektivenwechsel nicht bloß durch zirkuläres Fragen, sondern durch die Tätigkeit als Entwicklungshelfer/in, Sozialarbeiter/in, Altenpfleger/in oder einem einjährigen Selbstversuch als Hartz IV – Empfänger zuführen.


Noch’mal zurück zu den Medien: Seit Jahren treibt mich eine Frage um, die wohl auch mit der Bildungsmisere zu tun hat: Wie kommt es eigentlich, dass die Zeitschrift mit den größten Buchstaben in der Bundesrepublik Deutschland, manche sagen auch die größte Zeitung (mit dem geringsten Inhalt allerdings) gerade von den Leser/innen konsumiert wird, gegen die sie sich in erster Linie richtet? Liegt es am Wunsch, sich selbst zu bestrafen? Einem unbewussten kollektiv wirksamen Schuldgefühl wegen der Gräueltaten während des Nazi-Regimes? An den großen Buchstaben? Den immer halbnackten Frauenabbildungen? Das wäre doch eine wissenschaftliche Untersuchung wert, oder!!


Zum Fernsehen kann ich nicht viel sagen. Seitdem ich aus meinem „Elternhaus“ ausgezogen bin, besitze ich keinen Fernseher mehr und es ist mir ehrlicherweise auch ein Rätsel, wie andere Menschen es schaffen, sich vor dieses Gerät zu setzen. Woher nehmen sie die Zeit, ihre Lebenszeit, die sie damit so heillos und furchtbar vergeuden? Was ist der Reiz daran, anderen Menschen beim Leben zuzusehen und zu vergessen, dass man ja selbst aktiv leben könnte. Oder liegt das an den mangelnden persönlichen Perspektiven?


Es gibt allerdings Zeiten, in denen es mich manchmal überfällt, mich diesem Medium exzessiv auszusetzen. Nämlich wenn ich auf Reisen bin und im Hotel übernachten muss: Jedes Mal ist mir hinterher regelrecht schlecht, vollgestopft mit Mord und Todschlag, lieb- und seelenlosen Sexszenen, schlechten Nachrichten und einem oberflächlichen aus dem Zusammenhang gerissenen Informationsbrei, der immer wieder in die Köpfe hämmert, was jede/r denken sollte. Kurzum: dieses Medium widert mich ziemlich an, um es deutlich auszusprechen; denn es ist – so kommt es mir jedenfalls vor –ein lebensfeindliches Medium, das extreme Verhaltensweisen wie Mord, Vergewaltigung, Perversionen, Exhibitionismus, Voyeurismus, Kriegshandlungen zu einer „Aufregung“, einem Nervenkitzel macht und so zur Normalität erklärt. (Das klingt, als käme ich aus dem 19. Jahrhundert – komisch nicht?) Doch wenn die Fernsehwelt das genaue Abbild der realen Welt wäre, müsste man diese Welt so schnell wie möglich verlassen und nach einer zweiten Erde suchen, denn sie, die Fernsehwelt, ist ein Alptraum.


Auf der Suche nach der zweiten Erde


Das führt jetzt zu meinem eigentlichen Ansinnen für das heutige weblog. Ich möchte nämlich erfahren, wo – verdammt noch mal! – die Konzernlenker/innen, Wirtschaftswachstumsapologeten oder besser -fetischisten und neoliberalen Politiker/innen (Neokons) die zweite Erde versteckt haben, auf die sie sich zu retten versuchen, wenn sie die erste Erde buchstäblich zu Tode gewirtschaftet haben?


Wer sich eine Weile intensiver mit der Theorie und Praxis der Systemischen Psychotherapie auseinandersetzt und damit auch um Systemtheorie (Kybernetik), system(theoret)ische Massenpsychologie, Kommunikationstheorie, Konstruktivismus, hypnotherapeutische Aspekte etc. nicht herumkommt, der wird schnell feststellen, dass dieses theoretische und praktisch wirksame Instrumentarium zu schade ist, um es nur auf den therapeutischen Kontext zu beziehen. Es stellt nämlich gleichzeitig ein hervorragendes Mittel dar, um größere Systeme, Organisationen, Gesellschaften, Ökosysteme und Globalisierungsprozesse besser zu begreifen, und bei Störungen nach entsprechenden Lösungen zu suchen.


Wenn – nach der Systemtheorie – der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings in Australien einen Wirbelsturm in der Karibik auslösen kann (was einfach besagen will, dass in einem bestimmten System eine noch so minimale Veränderung an einer Stelle sich so potenzieren kann, dass es das ganze System umkrempelt), dann müsste doch – und darauf warte ich eigentlich schon seit einiger Zeit – ein deutlicher Aufschrei in der „Systemischen Welt“, also von den Kolleg/inn/en, die sich mit dem systemischen Gedankengut beschäftigen, zu hören sein. Ein Aufschrei, der deutlich macht, dass wir – wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte – mit immer rasanterem Tempo – eben so als hätten wir eine zweite Erde in petto – unsere Lebensgrundlagen und die aller anderen Lebewesen – so unbeabsichtigt wie systematisch – zerstören.


Würden wir immer wieder darauf hinweisen, bewegten wir uns – als Systemiker/innen – in bester systemischer Tradition. Gregory Bateson würde sich – so bin ich überzeugt – freuen. Wahrscheinlich dreht er sich gerade im Grab herum, wenn er sehen könnte, was mit der Erde in den letzten Jahren passiert ist.


Ich will, ja fühle mich gezwungen, auf einige sicherlich allgemein bekannte weitere system(theoret)ische Aspekte hinzuweisen:

Erstens auf die Tatsache, dass weniger zu schaden, noch lange nicht heißt zu nutzen. Denn eine geringere Umweltverschmutzung bzw. -zerstörung bewahrt noch lange nicht vor Schaden. Umso erschreckender dass die Menschheit noch weit davon entfernt ist, weniger zu schaden.


Zweitens dass sich verschiedene Umweltveränderungen potenzieren und miteinander aufschaukeln können und es bereits tun, so dass sie sich vollkommen unserer Kontrolle entziehen. Der Wirbelsturm „Katrina“ ist das wohl aktuellste und schrecklichste Beispiel dafür. Wer hätte noch vor 2 Wochen gedacht, dass New Orleans so vollkommen zerstört werden könnte. Jeder hätte das für puren Science Fiction gehalten.


Interessant dabei war, dass es gleich von Vertreter/innen des Neoliberalismus ein Verdikt verhängt wurde, – aus, wie mir scheint, vorgeschobenen Pietätsgründen – über die verheerenden Folgen des Klimawandels zu sprechen. Einer von Menschen hervorgerufenen Klimaerwärmung, die in entscheidendem Maße von den U.S.A. mit ihrer in ökologischer Hinsicht größtenteils ignoranten Administration mitverursacht wird. (Kleine Anmerkung zum amerikanischen Nationalismus: Für jemanden, der sich als im wahrsten Sinne des Wortes als Weltbürger versteht, mag es tröstlich sein, dass Nationalisten genau das Gegenteil erreichen, was sie beabsichtigen: Sie richten nämlich immer konsequent ihr eigenes Land zugrunde. Ein weiteres Beispiel in dieser Hinsicht waren die Nationalsozialisten, die es fast geschafft hätten, Deutschland von der Landkarte zu tilgen.)


Und da komme ich auf Luhmann zu sprechen, der mit seiner spezifischen System- bzw. Kommunikationstheorie, welche die Menschen zur Umwelt des Kommunikationssystems macht, mit dieser Wirklichkeitskonstruktion in besonderem Maße die Rolle der Kommunikation betonte. Luhmann schreibt: „Die Gesellschaft selbst kann nur über Kommunikation auf ökologische, chemische, physikalische, biologische Tatsachen, auf Gifte, aus Verschmutzung, auf Ressourcenverbrauch und dergleichen reagieren. Das heißt, man braucht die Kopplung von Bewusstsein, irgendjemand muss etwas sehen, einen Zeiger ablesen, eine Statistik interpretieren, Tatsachen feststellen können, den Abfall im Wald und dergleichen, das Baumsterben, das Waldsterben sehen können. Das setzt vielleicht zunächst bestimmte Försteraugen voraus, und dann spricht der Förster darüber. Nur über diesen Mechanismus kann ein Alarmeffekt innerhalb der Gesellschaft entstehen“ (Niklas Luhmann: Einführung in die Theorie der Gesellschaft, Heidelberg: Carl Auer Verlag 2005, S. 109).


Wie mächtig Kommunikation sein kann, beweist die Massenpanik im Irak, die allein aufgrund des Gerüchtes entstand, Selbstmordattentäter/innen könnten sich unter die schiitischen Pilger auf der Aimma-Brücke in Bagdad gemischt haben. Das Resultat dieses gezielt gesteuerten perfiden Gerüchts bestand in etwa 1000 Toten.


Drittens braucht es noch nicht einmal einen Systemtheoretiker, um den destruktiven Irrsinn beständigen Wirtschaftswachstums auf einem begrenzten Planeten unmittelbar zu verstehen; denn dieses beständige Wirtschaftswachstum vernichtet – über kurz oder lang – wie ein Krebsgeschwür seinen Wirt.


Viertens besitzt der Kapitalismus (nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist dieses Wort ja wieder „hoffähig“) und damit der freie Markt kein Sinnesorgan, für das, was er anrichtet. Um ein Beispiel zu nennen: In den letzten 150 Jahren hat die Menschheit fast genau die Hälfte aller förderbaren Ölvorkommen der Erde ausgebeutet, mit dem entsprechenden Ausstoß an klimaschädlichen Gasen wie Kohlendioxid. In den nächsten 30 Jahren soll die andere Hälfte auf diese Weise verbraucht werden. Damit vergiften wir uns in dieser Hinsicht fünfmal so schnell.


Wir verhalten uns wie ein Selbstmörder, der sich mit seinen Autoabgasen in der Garage vergiften will und dem für sein Vorhaben der Leerlauf bei 1000 Umdrehungen nicht reicht, sondern aufs Gaspedal steigt und nun 5000 Umdrehungen schafft, wodurch dementsprechend mehr giftige Gase ausströmen. Auf der McPlanet-Konferenz in Hamburg sagte ein Manager des Ölkonzerns Shell zu mir, es sei doch selbstverständlich, dass alle Kohlenwasserstoffe (also Öl und Erdgas) aus der Erde geholt und verbraucht werden und zwar solange, bis es keine mehr gibt. Ihm waren oder durften die Auswirkungen dessen nicht klar ein, was er da sagte; denn mit jedem Liter Öl, den wir in welcher Form auch immer verbrennen, vergiften wir uns mehr. (Ja, ich weiß, ich bin noch auf ein Auto angewiesen und mache diesen Irrsinn mit. Ich will ihn aber gar nicht mitmachen. Deswegen braucht es andere Lösungen für Mobilität!! Und: Ich habe deswegen ein schlechtes Gewissen und das ist auch gut so (wie Wowereit sagen würde), denn es zwingt mich, dafür Ausgleich zu schaffen. Die Idee dahinter ist, dass ich durch mein Leben am Ende der Umwelt mehr genutzt als geschadet habe, so also eine positive Ökobilanz hinterlasse. Ich arbeite daran.)


Fünftens – und jetzt wird vermutlich die Anzeige des Depressionsbarometers gänzlich in den Bereich schwere Depression kommen – weiß ich nicht, ob es nicht bereits zu spät ist – und das sage ich, ganz im ernst, als unverbesserlicher Optimist – wer mich persönlich kennt, wird diese Persönlichkeitszuschreibung bestätigen können. Es könnte nämlich sein, dass – selbst wenn wir die Welt anhalten könnten, also ab sofort überhaupt keine Umweltschädigungen mehr verursachen würden – sich die bereits von Menschenhand hervorgerufenen zerstörerischen Prozesse so aufschaukeln, dass sie zumindest dem menschlichen Leben keine Chance mehr geben.


Jetzt werde ich sicher als Apokalyptiker beschimpft. Doch die Prophezeiung der Apokalypse dient einzig und allein dem Zweck, sie zu verhindern. Oder anders ausgedrückt: Der Apokalyptiker liegt dann richtig, wenn er falsch liegt.


Natürlich hoffe ich etwas ganz anderes, nämlich dass wir es schaffen, die Vielfalt des Lebens auf diesem Planeten nicht nur zu bewahren, sondern zu pflegen und uns endlich als Diener der Natur und nicht in maßloser Selbstüberschätzung als ihr Herr zu verstehen.


Wir haben leider nicht mehr viel Zeit.