Jan

Wenn von den ganz großen Helden und von der noch größeren Begeisterung und Verehrung die Rede ist, die sie genießen, kann ich einen nicht vergessen: Jan Ullrich. Noch immer sehe ich ihn bei seinem sensationellen Ritt in die Pyrenäen hinein, wie er einen nach dem anderen einer ehemaligen Spitzengruppe überholte. Was für eine begeisternde Fahrt. Er stampfte buchstäblich alle seine Konkurrenten um den Tagessieg in den Boden, um am Ende nicht nur einfach als Tagessieger auf dem Treppchen zu stehen, nein, das allein war es nicht. Auch nicht die Übernahme des Gelben Trikots, also die Gesamtführung. Es war dieses Momentum, das die Geburt eines Helden zu begleiten scheint. Eine Woge der Begeisterung in seiner Heimat trug ihn damals, es war im Jahr 1997, zum Sieg der Tour de France. Die Riesenbegeisterung der Menschen für den Radsport, sie erfuhr damals in Deutschland einen ersten nie da gewesenen Höhepunkt, der sich Jahr für Jahr fast noch steigern sollte, misst man sie an den Zuschauerzahlen entlang der Rennstrecken wie an den Zuschauerzahlen im Fernsehen.


Und nun? Alle Begeisterung dahin? Gedämpft auf jeden Fall. Und ein besonders tüchtig strampelnder Radprofi, der alle seine Konkurrenten hinter sich lässt? Womit hat der gedopt?, ist die Frage im Hinterkopf bei jeder besonderen Leistung. Wir können uns jetzt alle vorstellen, dass eine besonders beeindruckende Leistung nicht einem Wunder an Leistungsexplosion, sondern eher einem Wundermittel zuzuschreiben ist. Bei Jans letzter großer Superleistung jedenfalls war es gewiss so, seinem unglaublichen Ritt nach Bern beim Zeitfahren am Ende der Tour de Suisse 2006, mit dem er sich den letzten großen Sieg gesichert hat. Danach kam der Fuentes-Skandal und die Suspendierung aller Verdächtigen am Tag vor dem Start zur Tour de France, auch von Jan Ullrich. „Ich habe niemanden betrogen“, beteuerte er seitdem immer wieder. Ja wie auch? Wenn alle dopen, wie es sich jetzt herausstellt, wird ja in Wirklichkeit die Geschicklichkeit der Medikation zum ausschlaggebenden Faktor. Und Lance Armstrong? Nur „erlaubte Medikamente“, ihm eben speziell erlaubte Medikamente. Wer wie er einen Hodenkrebs „besiegt“ hat, kann gewiss sein Medikamentenköfferchen mit (in diesem speziellen Fall) erlaubten Mitteln gut bestücken. Dass hier erwünschte Nebenwirkungen zum siebenmaligen Tour-Erfolg führen könnten, macht das Dopingspiel besonders makaber.


Was passiert eigentlich, wenn wie beim Radsport eine ganze Sportart, also ein ganzes System von Sportlern, Ärzten, Managern, Trainern, Helfern aller Art usw., mit einem Schlag in einem Sumpf versinkt? Zuerst geht den Zuschauern aller Art gewiss der gute Glauben an ein faires sportliches Geschehen verloren. Was Papst Benedikt angeht, ist Vergleichbares einfach nicht denkbar. Und Barbara Streisand? Musik braucht kein Doping, sie hat allenfalls eine Wirkung wie Stimmungspillen, aber das ist ja eben der erwünschte Effekt. Nein, da kann die Begeisterung ungetrübt genossen werden und es besteht keine Gefahr. Und wenn es auch dort gefallene Helden gibt, ist das ein anderes Thema. Unser Held Jan jedenfalls ist raus aus dem großen Spiel.


Kann der Radsport jemals wieder das Vertrauen zurück gewinnen, das seine Akteure so rasant verspielt haben? Ist das System überhaupt zu retten? Wenn die Zuschauer weg bleiben und die Fernseher am Radsport vorbei schauen, gibt es keine Sponsoren mehr und die Fernsehsender suchen anderweitig nach Objekten, die Begeisterung versprechen.


Ich grüße alle potenziellen Blogger und freue mich mit Herrn Simon auf muntere Diskussionen,

Horst Kasper