Ist der Schöpfer Konstruktivist?

Liebes Webtagebuch,


ich gebe zu, die Frage alleine ist entweder scholastisch oder eine Farce. Jedenfalls, und das sei gleich vorausgeschickt, kann ich sie nicht beantworten, weder in theologisch fundierter Form, noch in populärwissenschaftlicher Weise. Aber so wie man David Humes Beantwortung der Theodizee-Frage in allgemein verständlicher Weise herunterbrechen kann, ist womöglich auch eine allgemein verständliche Anregung zu dieser Frage möglich.


In der Bibel steht ja eindeutig, dass der christliche Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, sprich: konstruiert hat. Alles deutet im Alten Testament also darauf hin, dass Gott Konstruktivist ist. Jetzt ist es aber so, dass Konstruktivisten die Bedingtheit ihrer Konstruktionen voreinander offen legen und miteinander verhandeln, aber mit wem tut dies Gott? Logischer Schluss: Da er mit niemand gleichwertigem seine Konstruktionen verhandeln kann, muss er also ziemlich einsam sein. Wie erkennt er denn überhaupt selbst als Gott? Seine Konstruktionen als Konstruktionen? Hat er zum Zwecke dieser Unterscheidung die bösen Menschen geschaffen, die ihm zeigen wie gut er ist? Oder ist er nur ein von Menschen konstruierter konstruktivistischer Gott? Ein von bewegten Gedanken bewogener unbewegter Beweger?


Nun liebe Leserinnen und Leser, ich weiss nicht, ob Ihnen das schon einmal aufgefallen ist, aber es gibt einen Mensch, dessen Genogramm schwer bis überhaupt nicht zu zeichnen ist. Erraten? Ja, Adam, hatte leider Vater und Mutter nicht, außer Erde und Lehm haben auch Eltern-Status. Oder war Gott Adams Vater, dann stellt sich aus genogrammtechnischer Hinsicht die Frage, wer eigentlich seine Mutter war. Auch Evas Genogramm ist schwierig zu zeichnen, denn sie wurde aus einer Rippe ihres Adam geschaffen und somit ist Evas Mann gleichzeitig – pars pro toto und triangulär – auch ihr Vater. Inzestuös also von Anfang an, die Habsburger haben es ja später nur noch perfektioniert. Inzestuöses Verhalten ist damit eigentlich nur als uraltes Menschheits-Muster entlarvt. Wenn alles mit Inzest begonnen hat, stellt sich naturgemäß auch gleich die Frage der Erbsünde und ich behaupte tatsächlich, dass die Paradiesgeschichte ein wirklich gut geeigneter Mythos ist, die Geburtsstunde der Philosophie und somit später auch des Konstruktivismus zu beschreiben.


Der Sündenfall und der Verweis der beiden Obstliebhaber aus dem Paradies markieren ja wie keine andere Geschichte den Beginn von erkenntnistheoretischen Überlegungen. Eigentlich ein Glück, dass Adam und Eva den Apfel zu sich nahmen und auf diese Weise Gott zwangen, dem Menschen seine Erkenntnisfähigkeit zu geben. Wer Gesetze aufstellt, muss sie ja auch einhalten. Ohne Adam und Eva gäbe es heute keine Erkenntnistheorie des Konstruktivismus! War Gott also doch Konstruktivist? Hätte er im Sündenfall-Moment die Erkenntnisfähigkeit dem Menschen auch verweigern können? Oder war die Strafe für den köstlichen Äpfelschmaus schon in seiner Metakonstruktion vorhanden? Darf Gott seine einmal gemachten Konstruktionen revidieren (im Sinne von: „Er sah, dass es schlecht war...und überlegte sich neue Lösungsmöglichkeiten“)? Kann sich – um den Begriff „Gott“ jetzt einmal zu vermeiden – die/der/das Absolute selbst rekonstruieren bzw. sich selbst dekonstruieren? Kann sich also die/der/das Absolute entscheiden, ob sie/er/es überhaupt noch absolut sein möchte oder lieber doch etwas ganz anderes?


Liebe Leserinnen und Leser, ich merke, dass mir bei diesen scholastischen Gedankenflügen etwas der Schwindel aufsteigt. Eines ist klar: Sollte ich Gott oder die Göttin oder Beides (vgl. Tetralemma!) irgendwann einmal persönlich kennenlernen (was ich sehr gerne tun würde!) und draufkommen, dass sie Konstruktivisten sind, dann freut mich das natürlich ungemein und mein verlorenes Urvertrauen setzt sofort wieder ein. Auf die Gerichtsverhandlung beim jüngsten Gericht bin ich natürlich auch neugierig, denn hoffentlich hat sich dann die von mir gestern vorgeschlagene systemische Rechtssprechung schon durchgesetzt...


Im Ausblick auf den Tag nach übermorgen frage ich mich schon jetzt, welches Verhältnis Konstruktivisten zu Spiritualität und Transzendenz einnehmen. Sehen Sie sich selbst als Konstruktivist/in? Welches Verhältnis haben Sie zu Spiritualität, Transzendenz und Religion? Morgen erwartet Sie ein kurzes semiotisch-konstruktivistisches Testament, mit dem ich meine theologischen Anstiftungen auch schon wieder abschließe. Es grüßt Sie ein etwas ratloser, von vielen Gedanken bewegter und auf ihren Zugang neugieriger Stephan Hametner.