Irritation III

Hallo verehrte LeserInnen,


ich schliesse hiermit, wenn Sie erlauben, an meine vorherigen Anstrengungen an, sich aus der sozialarbeiterisch ja häufig gern favorisierten interaktionalen Ebene zu lösen und mit Hilfe der Bielefelder Theorie das Gleiche vom Unterschiedlichen zu unterscheiden [„Das, was Sie uns erzählen, das trifft ja auf alle Gespräche zu“ – „Ja!“], um vom Einzelfall abstrahieren zu üben und Wissen systematisieren zu lernen. Also den Ball eben nicht mehr nur flach abzuspielen, sondern mit sowohl flachen als auch steilen Pässen der gegnerischen Mannschaft des 1.FC Real Ontologica das Nachsehen zu geben, um das Bild weiter erschöpfend auszubeuten.


Der geneigte Leser(1) möchte vielleicht wissen, wie meine B30 im weiteren ihre Analyseinstrumente in aussichtsreiche Stellung bringt. Nun, die aktenkundliche Beobachtung „zeichnet“ sich u.a. durch eine Vermengung von Beschreibungen verschiedener Beobachter aus, was in der Praxis zu „Qui pro quo?“-Stellungnahmen führt.


„Deutlich wurde bei ihrer Erzählung, dass ihr Mann Alkoholiker ist“. Entschuldigung: Wem ist hier was deutlich geworden?


Und: "Sie [Tochter]hat die Dinge genauso erlebt und möchte in jedem Fall mit der Mutter zusammen bleiben". Ein Kuriosum: Hat schon jemand das Erleben eines Andern gleich, genauso, identisch etc.p.p. erlebt? Woher weiss er das? Die Elemente des psychischen Systems [Gedanken] versammeln sich zwar zahlreich unter der Schädelkalotte, allein, sie können diese jedoch nicht überwinden.


Nun trifft es sich, dass die erste Phrase in zweifacher Hinsicht als Negativbeispiel dienen kann.


**A**

Die Markierung des Mannes als Alkoholiker nahm die Sozialarbeiterin vor, die das aber nicht explizit macht. Berichte müssen und können z.B. so die Autorschaft anzeigen, z.B. so: Dieser Bericht basiert, wenn nicht anders angegeben, auf den Angaben des Klienten. Man vermöge sich nun leicht vorzustellen, dass hier vor unseren Augen gerade ein Klient [Fall] generiert wurde und zwar, wenn Exklusionskonsequenzen [Arbeitsmarkt] mit reinspielen, z.B. ein Anspruchsberechtigter für den § 53 SGB 12.


**B**

Die vorgenommene Zuschreibung „Alkoholiker“ wird zuweilen synonym im Sinne eines Krankheitsbildes [„Alkoholkranke“] in der Peripher- und Anrainerkommunikation des FS Medizin verwendet. Hintergrund: Körperzustände sind besser zu digitalisieren [z.B. Leberwerte], d.h. klarer unterscheidbarer, also leichter zu thematisieren als Mitteilungsformzirkel. Vertextete „Standgerichte“ wie Diagnosen bzw. Befunde dienen vor allem der Simplifikation der Kommunikation zur Adressierung von Ansprüchen bei Organisationen [wie den Rentenversicherungsträgern oder Krankenkassen]. In Beratungskontexten wie hier wirkt diese Attribution aber in der Regel kontraproduktiv: denn, wenn ich Alkoholiker bin, dann muss mir also ein Arzt helfen [ICH bin ja kein Experte].


Der anzumahnende Seitenwechsel [Crossing von Alkoholiker/Anderes] kostet eben Zeit, das wissen nicht nur Fussballfans [dankend Christian Schuldt in Spiel bringend].(3)


Der Prozess der De-Konstruktion von Beobachtungen wird – quod erat demonstrantum -- besonders durch die Zeitdimension determiniert: wieviel Zeit steht der Kommunikation zur Verfügung, um Unterscheidungen einzuschleusen und den Sachverhalt so zu isolieren. Hier hat sich die Kollegin wohl zu wenig Zeit genommen, Verweise auf auch anders mögliche Markierungen vorzunehmen.


Morgen werde ich mal die Organisation des ASD(4) kurz in das systemtheoretische Säurebad halten, um zu schauen, wie sie und für wen sie welche Hilfe zeitstabil erwartbar hält.


Concepi.


Mit herzlichen Grüßen


Jan V. Wirth


PS: Der nächste Nationaltrainer nach J.K. sollte eine Systemtheoretikerin sein, was meinen Sie?


(1) Spätestens hier entschuldige ich mich für die maskuline Grammatik, die einzig und allein der flotteren Lesbarkeit geschuldet ist.

(2) Funktionssystem.

(3) Schuldt, Christian (2006) Systemtheorie. Hamburg: Eva.

(4) Allgemeiner Sozialer Dienst.