Integrale Unternehmenskultur

Integral + Unternehmenskultur = ?? Am Mittwoch kam ich bei der Suche nach der Bedeutung des Begriffs „integral“ zu der Einsicht: „Integral“ heißt allen Phänomenen die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Sylvia Taraba hinterfragte dies, da es erstens ein geradezu göttliches Nicht-Urteilen voraussetze und zweitens daran scheitern würde, dass wir nicht alle Phänomene wahrnehmen können, sondern nur eine emotional gesteuerte Auswahl. Meine Antwort bestand darin, dass wir erstens sicher nicht die Gesamtheit aller, aber sehr wohl die uns begegnenden Phänomene beurteilen können und dürfen (wir kommen ja sowieso nicht völlig drum herum, sonst würden wir vom nächsten Laster überfahren), aber dass wir aus diesen Urteilen nicht ableiten sollten, welchen der Phänomene wir mehr oder weniger Aufmerksamkeit schenken. Wenn wir dieses Verständnis von integral, also „ein Ganzes ausmachend“, auf Unternehmenskultur übertragen, stellen sich vermutlich bei so manchem Manager, Geschäftsführer oder Finanzvorstand die ersten Lacher ein.


Natürlich gibt es Aspekte, die in der Steuerung eines Unternehmens offensichtlich wichtiger sind als andere und demzufolge wesentlich mehr Aufmerksamkeit brauchen. Als da beispielsweise wäre: Budgetierung. Es ist doch klar, dass die Erarbeitung des Budgets und auch die Leistungsmessung und Kontrolle ein zentrales Element der Unternehmenssteuerung ist. Mitarbeiter- oder Kundenzufriedenheit ist da einfach nicht so wichtig. Der Blick auf die internen Vorgaben ist bedeutender als die externen Märkte und deren Entwicklung. Budgeting ist das goldene Kalb der Aufmerksamkeit in immerhin noch 90 – 99% aller europäischen und amerikanischen Unternehmen (vgl. Pfläging, N. (2003): Beyond Budgeting. Better Budgeting. Freiburg, Berlin, München u. Zürich: Haufe). Kurzum: Priorisierung ist eine Grundfunktion erfolgreichen Arbeitshandelns. Tatsächlich?


Was wäre, wenn auch dem, was zur Zeit nicht so wichtig erscheint, dieselbe Aufmerksamkeit zu Teil würde, wie den angeblich zentralen Aspekten eines Unternehmens?


1. Ethisch integre Kommunikation (und da sind 1,5 tägige Kommunikationstrainings nur ein Alibi, besonders wenn der Personalvorstand in gereizter Stimmung zu brüllen pflegt);

2. Emotionen der Mitarbeiter und Führungskräfte (Zahlen, Daten, Fakten: ZDF – da heißt es doch so schön: mit dem Zweiten sieht man besser: Ratio + Emotio);

3. Arbeitsatmosphäre (das heißt nicht, dass man gleich die Feng-Shui Beraterin einkaufen muss);

4. der Sinn der Arbeit (zugegeben: in manchen Fällen müsste man vermutlich lange suchen, wenn man jenseits monetärer Abfindung fündig werden wollte);

5. Arbeit als Spiel (es werden Spiele gespielt nach bestimmten Systemregeln, expliziten und impliziten und leider sind es meist noch Nullsummenspiele mit Gewinnern und Verlierern);

6. Zugehörigkeit der Mitarbeiter und Führungskräfte (um Gottes Willen, sie sollen ja austauschbar bleiben oder aus der Sicht der Mitarbeiter und Führungskräfte: bloß keine Ehe mit der Firma eingehen, man könnte ja was Besseres finden oder betrogen werden).


Die Auflistung ist noch nicht komplett, aber für eine ersten Eindruck reicht es.


Meine These, ganz ungeprüft, frank und frei: Unternehmen, die ihre Aufmerksamkeit auch auf scheinbar unwichtigere Phänomene lenken, wären gesündere Unternehmen im doppelten Sinn: Ihre Mitarbeiter würden weniger krank feiern oder streiken wegen 18 Minuten Mehrarbeit pro Woche und sich nicht mehr von der Gewerkschaftsführung für deren Legitimationsaktionen missbrauchen lassen. Zudem wären die Unternehmen selbst als soziale Systeme gesünder und würden länger leben als die durchschnittlichen 12,5 Jahre (vgl. Geus, Arie de (1997): Jenseits der Ökonomie. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 19). Humbug?


Ihnen einen sonnigen Freitag

Andreas Zeuch