Inspirierte und inspirierende Alumni

Gestern und vorgestern war ich bei dem nun zum zweiten Mal veranstalteten Alumuni-Treffen der Teilnehmer von Weiterbildungen bei "Simon, Weber & Friends", also in erster Linie systemischen Organisationsberatern und Führungskräften.
Der erste Tag/Abend galt der Frage, wie man sich als Netzwerk organisieren könnte/sollte usw., d.h. das war wahrscheinlich für diejenigen, die zum ersten Mal dabei waren, nicht sonderlich spannend, obwohl es für die Zukunft dieses Netzwerkes von großer Bedeutung sein dürfte.
Aber der zweite Tag! Wow!
Ich muss gestehen, dass ich seit 20 Jahren nicht mehr bei irgendeiner Tagung war, die gleichermaßen inspirierend war. Und das war auch die Rückmeldung der meisten Teilnehmer. Das Wort inspirierend wurde am Ende der Veranstaltung zu so etwas wie einem Schlüsselwort.
Was war geschehen? Wie konnte das passieren?
Es gab keine Vorträge irgendwelcher älterer Herren (wie mir), fachlicher "Größen", die man noch mal sehen will, bevor sie wegsterben, auch wenn man eigentlich schon weiss, was sie sagen werden. Stattdessen wurden höchst aktuelle Themen verhandelt.
Es gab Kurzvorträge, in denen Alumni aus ihrem jeweiligen Unternehmen oder Projekten berichteten, die an der vordersten Front der gegenwärtigen Veränderungen der Arbeitswelt positioniert sind.
Das war (u.a.) der Chef einer Agentur, in der mit Scrum und anderen agilen Methoden so gearbeitet wird, dass in den Projekten die Grenze zwischen Kunden- und Dienstleistersystem über längere Zeit aufgehoben wird. Ein anderes Beispiel: Wie organisiert man die Personalarbeit in einem ganz jungen, extrem erfolgreichen, sich nicht minder extrem temporeich verändernden Internetkonzern, der in 38 Ländern aktiv ist und die Diversität von ziemlich heterogenen Mitarbeitern (nicht nur national, sondern auch typmäßig: vom Anzugträger bis zum gepiercten Lulatsch in Flip-Flops, kurzen Hosen und Biene Maja-T-Shirt) zu integrieren. Oder: Wie kann in traditionellen Betrieben der Industrie die Sicherheitsfrage so bearbeitet werden, dass aus ihnen "High-Reliabilty"-Organisationen werden und die Unfallraten sinken? usw.
Was diesesTreffen von gewöhnlichen Tagung (selbst, wenn sie zu denselben Themen veranstaltet werden) unterschied, war die Flughöhe. Während man sonst im Auditorium sitzt und über die Vorannahmen der Referenten grübelt oder mit ihnen hadert, war hier klar, dass alle (oder zumindest die Mehrheit) über ein systemtheoretisches Verständnis von sozialen Systemen, Organisation, Management etc. verfügten. Daher konnte man auf dieser Basis aufsetzen und sich mit den hoch kreativen Variationen, die der Alltag in unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft hervor bringt, fokussiert auseinandersetzen. Alle waren hinreichend alphabetisiert, um schnell auf die relevanten und interessanten Fragestellungen zu kommen, die sich aus diesen Praxiserfahrungen und -modellen ergaben.
Mir scheint, die inspirierende Wirkung dieses Tages, die am Ende manchen hat beschwingt und voller Tatendrang nach Hause gehen lassen, resultiert aus dem, was Gregory Bateson als Kombination von strengem und losem Denken bezeichnet hat - logische Präzision auf der einen Seite, freie Assoziationen auf der anderen Seite. Das strenge Denken - die geteilte Theorie als Argumentationsgrundlage für die kontroversen Diskussionen - lieferte die Systemtheorie. Und die Kreativität, mit der die aktuellen Fragestellungen von Organisationen heute beantwortet werden, repräsentierte das lose Denken.
Ich persönlich bin auch ziemlich guter Laune am Abend nach Hause gefahren, weil ich denke, dass man sich um die systemische Szene keine Sorgen machen muss, wenn es wie gestern und hoffentlich in Zukunft gelingt, diese beiden Aspekte - strenges und loses Denken - weiterhin zusammen zu bringen. Dann wird nämlich verhindert, dass sich irgendeine verkalkte Orthodoxie bildet, Innovation unmöglich wird und Langeweile einkehrt; es wird aber auch verhindert, dass Denkfaulheit bzw. logisch inkonsistente Konzepte (Beliebigkeit) zu ebenso inkosistentem Handeln führt, das sich letztlich von schnell wechselnden Moden leiten lässt und daher dann genauso langweilig und irrelevant wird.
Was mich so optimistisch stimmt, ist, dass gestern wohl alle gespürt haben, dass solch eine Kombination lustvolles und intellektuell befriedigendes Arbeiten ermöglicht. So lässt sich die "Schöne neue Arbeitswelt" (so der Obertitel der Veranstaltung) wahrscheinlich am besten bewältigen...