In Organisationen tobt der Teufel – göttlicher Konsens oder teuflischer Dissens?

„In Organisationen tobt der Teufel!“ schreibt Theodor M. Bardmann in seinem 1994 veröffentlichten Buch „Wenn aus Arbeit Abfall wird“. Und setzt so fort: „Er stellt den Planern und Machern tagaus, tagein ein Bein, er boykottiert ihre Ordnungsliebe, er konfrontiert ihre Hoffnungen auf eine harmonische Geregeltheit mit der Schreckversion des nie endenden Chaos. Er sorgt für die großen und kleinen Abweichungen und Verzerrungen in den oberen wie den unteren Etagen, und manchmal stellt er selbst die Hierarchie, die ‚heilige Rangordnung’, auf den Kopf. Er steckt hinter all den Höhen und Tiefen, Zwängen und Unwägbarkeiten, Stagnationen und Dynamiken eines Lebens in Arbeitsorganisationen“.


Nachdem andere Autoren vor mir bereits Gott in den konstruktivistisch-systemischen Diskurs dieser Kehrwoche eingebracht haben, ist es jetzt an aus meiner Sicht an der Zeit auch die Bedeutung des Teufels für Organisationen und andere Soziale Systeme zu betrachten. Der Teufel ist aus meiner Sicht das Unerwartete, das Unvorhersehbare, die Kontingenz eines dynamischen Systems. Dies ist ähnlich der Betrachtungen von Serres, der das Hintergrundrauschen jedes Systems als Teufel ansieht und Rationalität, Ordnung und Struktur nur als unwahrscheinliche Inseln im Meer des chaotischen, „teuflischen“ Hintergrundrauschens. Die Analogisierung des Rauschens mit dem Teufel ist ein durchgängiges Motiv in „Der Parasit“: „Kein System ohne Parasit“ oder in anderen Worten: es gibt kein System ohne Teufel, denn „Irrtum, Ungewissheit, Verwirrung und Dunkelheit gehören zur Erkenntnis, das Rauschen gehört zur Kommunikation“. Der Begriff Teufel soll hier auf keinen Fall als Schimpfvokabel verwendet werden, sondern wird von mir analog zum Parasiten bei Serres nicht negativ, sondern wertfrei verwendet. Der Teufel soll nicht dazu dienen, zu beleidigen oder zu diffamieren. Er soll vielmehr irritieren und eingefahrene Sichtweisen stören. Durch die Betonung auf die allgemeine Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit des Teufels für jedes System soll die Doppeldeutigkeit und Zweideutigkeit des Teufels hervorgehoben werden, und der Begriff damit seine eindeutig negativen Konnotationen verlieren, denn in Anlehnung an Bardmann: Nichts ist bedrohlicher als eine Welt ohne Fragen, als ein System ohne Störung“ als ein System ohne Teufel!


Es gibt kein System, das perfekt funktioniert. Verluste, Abnutzung, Irrtümer, Fehler, Unfälle, Missverständnisse und vieles mehr sind nicht die dunkle Kehrseite sondern der Alltag in jedem System und in jeder Organisation. Das System „läuft, weil es nicht läuft“ (Serres). Es läuft nicht trotz, sondern es läuft gerade wegen den „teuflischen“ Störungen. Systemische Führung baut nicht auf Konsens im Sinne „göttlicher Harmonie“, sondern auf Dissens auf. Und das „teuflische“ Fördern von Dissens ist nicht negativ, sondern positiv zu betrachten, denn systemische Führung zeichnet sich nicht durch eine einzige richtige Sichtweise der „Wirklichkeit“ aus, sondern durch eine mehrperspektivische Betrachtungsweise. Nicht der Beschwichtiger und Konsenssucher ist hierbei das produktive Element, sondern der Störer, der Teufel ist es, der neue Perspektiven einbringt und damit produktive Änderungen bewirkt. Und als Metapher für eine systemische Führungskraft eignet sich nicht der allwissende Gott, der als Beobachter und Steuermann von außen praktisch alles im Griff hat, sondern der Teufel bzw. der advocatus diaboli, der durch seine (hoffentlich konstruktiven) Störungen das Unternehmen voran bringt. Denn nichts ist bedrohlicher als ein System ohne Teufel.


Aber natürlich kann man das auch ganz anders sehen, und daher meine Frage an die Leser: Wie sehen Sie das? Was ist wichtiger in Unternehmen: göttlicher Konsens oder teuflischer Dissens?