Im Gespräch mit Edvard Munch

Nein, ich habe kein Interview mit ihm geführt. Ich habe am Osterwochenende eine Ausstellung seiner Arbeiten in der Fondation Beyeler in Basel/Riehen gesehen. [Fondation Beyeler] (http://www.beyeler.com/fondation/d/html_11sonderaus/01_aktuelle/intro.htm)

Und möchte die Ausstellung allen ans Herz legen, die sich mit menschlicher Entwicklung beschäftigen!

Mich haben die Bilder sehr bewegt. Sie erzählen von Liebe und Einsamkeit, Leiden, Krankheit und Tod, den großen Themen, die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt haben.


Als an der Seele interessierter Zeitgenosse war ich tief beeindruckt von der Konstanz, mit der sich seine Hauptthemen durch alle Perioden seines Schaffens ziehen. Gibt es Nähe und Begegnung ohne Verschmelzung? Ist liebende Verbindung mehr als ein Traum? Wie lassen sich Schatten integrieren?


Wie hätte Munch von einer Psychotherapie profitieren können, die es zu seiner Zeit als Entwicklungsangebot noch nicht gab? Wie hätte sich eine innere Entwicklung in seiner Kunst ausgedrückt? Aus dem Abstand kann ich natürlich kein Urteil über Munchs Innenwelt fällen. Ich kann aber etwas über meine Resonanz auf seine Arbeiten berichten. Die Arbeiten sprechen von einer unglaublich schonungslosen Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber, und diese Aufrichtigkeit hielt Munch sein Leben lang durch!


Das wirft mich auf die hohe Geschwindigkeit zurück, mit der wir heute leben. Schneller wohnen. Schneller essen. Schneller lieben. Auf die mehr oder weniger vorhandene Ausdauer, mit der wir Entwicklungsprozessen begegnen. Wie gut halten wir Situationen aus, die auf den ersten Blick wie Stillstand aussehen, und die Beharrlichkeit und kontinuierliche Disziplin erfordern, um Fortschritte zu erzielen? Wie beim Klavier spielen. Oder im Sport. Oder im Zusammenhang mit innerer Entwicklung.


Wie hätte sich Munch wohl in einer World Café Gesprächsrunde gefühlt, in einem Prozess, der das Gespräch in den Mittelpunkt stellt? Wieviel Vertrauen ist nötig, um sich bewegen zu lassen, um sich überhaupt auf ein Gespräch einzulassen, bei dem Kopf, Herz, Hand und Geist beteiligt sind?


In Munchs Bildmotiven »Der Kuss« und »Vampir« verschmelzen die beteiligten Personen miteinander. Wie reden Menschen miteinander, die sich ineinander verlieren (und das nicht etwa in einer Unio Mystica, die eine persönliche Differenzierung voraussetzt, sondern in einer Art von präpersonalen Urbrei)? Ich lese aus Munchs Arbeiten eine eindeutige Antwort heraus: Gar nicht. Das würde die tiefe Einsamkeit erklären, die mich aus seinen Bildern anweht. Einzelne Bilder, wie etwa »Der Schrei«, könnten eine Momentaufnahme sein. Wenn aber die Bilder eines ganzen Lebens von diesen Gefühlen erzählen, wenn er eine seiner letzten Arbeiten »Selbstportrait in der Hölle« nennt, dann frage ich mich, aus welcher Quelle Munch die Kraft geschöpft hat, sich dieser Wirklichkeit zu stellen.


Es ist diese Ausdauer und diese beharrliche, unerbittliche Aufrichtigkeit, die aus Munchs Bildern zu mir sprechen, die von seiner Größe erzählen. Die mich bewegen.