"Ihr Paare – erwachet und sprecht miteinander!"

Es ist jetzt sechs Uhr in der Frühe. Heute ist wie gestern ein langer Tag und hier ist die Lücke zum Kehren.

Gestern gab es „Silberhochzeit“ im Fernsehen. Bestimmt sehenswert, mit der Crème der deutschen Schauspieler: Iris Berben, Matthias Habich, Corinna Harfouch et al., nach einer Kurzgeschichte von Elke Heidenreich.

Wir haben es nicht gesehen. Hans und ich sassen lieber auf dem Sofa, redeten noch etwas, waren recht müde und sind einfach früh ins Bett.

Ich wollte es erst sehen. Doch was gäbe es zu sehen? Eine Paarbeziehung, die an Sprachlosigkeit zugrunde gegangen ist. Die Beschreibungen der Fernsehzeitungen lauteten: man lebt, liebt, glaubt sich zu kennen und stellt plötzlich fest, dass es gar nicht so ist. Welch dramatischer Stoff! Es ist natürlich die Frau, die das durchschaut, einfach viel weiter in ihrem Bewusstsein entwickelt ist und dann dem doofen, völlig perplexen Ehemann, der nichtsahnend das gewohnte langweilige Leben auch noch angenehm findet, mit Geliebter, wichtigen Hobbies und viel und wichtiger Arbeit versteht sich, eröffnet, dass sie ihn verlassen wird, um endlich ihr eigenes Leben noch mal neu zu starten: mit viel Bewusstsein für die wirklich wichtigen Dinge in Beziehungen und in der Kunst des wahren Lebens, versteht sich.


Was bringen solche Sendungen? Zeigen sie Lösungen, eröffnen sie Wege, wie man als Paar da erst gar nicht hinkommt oder weiden sie sich am Drama der gescheiterten Beziehungen, deren es ja wie bekannt immer mehr gibt, mit dem Motto: na, siehste, so geht das aus! Arme Männer Deutschlands! Nehmt euch in Acht! Morgen kann es bei euch so weit sein. Am Anfang der Woche kam genau so ein Paar in meine Praxis: Diagnose hoffnungslos.


Ein amerikanisches Ehepaar spricht nach Michael Lukas Moeller ( Die Wahrheit beginnt zu zweit, das paar im Gespräch,1998, 2000, Reinbek und viele andere Werke diesr Art) täglich drei Minuten lang über Wesentliches, Deutsche sind da besser, sie tun es fünf Minuten lang, manche allerdings auch gar nicht mehr. Doch was heisst hier sprechen miteinander? Michael Lukas Moeller hat eine ritualisierte Gesprächsform entwickelt, wie Paare dies tun können.


Für eineinhalb Stunden in der Woche ( die Dauer eines Spielfilms) sitzt sich das Paar gegenüber, einer fängt an und redet für fünfzehn Minuten über das, was ihn oder sie gerade bewegt, in sich selbst, in ihrer Beziehung oder überhaupt im Leben jetzt. Der oder die andere hört nur zu, darf nichts zwischenquatschen oder fragen, soll es einfach nur auf sich wirken lassen. Dann wird gewechselt, dasselbe der oder die andere, alles für jeden dreimal im Wechsel. Man spricht über sich, verboten sind Anklagen und Vorwürfe. Zwiegespräche heisst das und sie schaffen, wenn regelmässig gemacht, eine neue Kultur in der Paarbeziehung: eine neue Nähe, Dichte und vor allem auch mehr Einsichten in die eigenen Reinszenierungen.

Die geschehen dabei nämlich unweigerlich und haben die Chance, gesehen und gewandelt zu werden, als Eigenes erkannt und verdaut zu werden, anstatt dem anderen übergestülpt und dann bekämpft werden zu müssen.


Otto Brink,unser geschätzter Freund und Kollege, hat diese Zwiegespräche mittlerweile zu einer wichtigen Säule seiner Arbeit zusammen mit den Aufstellungen gemacht. Laut seinen Worten sind relmässige Zwiegespräche „eine Psychoanalyse zu zweit“.


Wir haben uns ja nicht lumpen lassen und starteten mit diesen Zwiegesprächen vor eineinhalb Jahren, als unser erster Versuch, eine Gruppe gemeinsam zu leiten eine tiefe Krise hervorrief. Am Anfang war es zumindestens für mich total traumatisch, was bei uns in den Zwiegesprächen ablief. Unsere lange Ehe (unsere Silberhochzeit war vor fast drei Jahren) und Beziehung war ja wirklich gut und glücklich, aber....es gab da bestimmte Ecken und Stellen.....

Fast alle dunklen Seiten kamen aufs Tablett, ich musste mich in meiner viertel Stunde des Zuhörens Hans´ Betroffenheit, Wut oder tiefer Verletzung stellen, lernte Seiten an ihm kennen, die ich so nicht kannte und jetzt mehr verstand. Gott sei Dank war der Ausgleich da, indem es ihm bei seinem Zuhören auch so ging. Oft wollte ich es hinschmeissen, aber Otto sagte dann voll Begeisterung: „Wunderbar, alles Reinszenierungen. Das ist gut so.“ Ich hätte ihn erwürgen können.

Unsere Beziehung ist seitdem besser geworden. Die crasherzeugenden neuralgischen Punkte haben sich über diese Zeit aufgelöst. Und wenn man erstmal ein Zwiegespräch macht zum Thema Sexualität.......oh,oh,.


Nur wie kommt ein Paar dahin, so, nämlich über das, was jeden im Inneren bewegt, miteinander zu sprechen? Eigentlich ist es ja ganz einfach, jeder Mensch hat das Grundbedürfnis, sich in seinem wesentlichen Erleben mitzuteilen. Wenn es da nicht die Traumata gäbe, die bekanntlich dazu führen, dass Menschen erstarren, ihre Gefühle abspalten und ihre Selbstwahrnehmung ausschalten. Oder muss man erst viele Aufstellungen machen oder Marathonrunden lang sich und andere zirkulär befragen?


Also, für eineinhalb Stunden in der Woche setzt man sich gegenüber, einer fängt an und redet über das, was ihn bewegt......(siehe weiter oben im Text).

Man fängt einfach mal an, ganz einfach. Dann entwickelt sich das schon. Man muss nur dranbleiben oder an Erich Kästner denken: „Es gibt nichts Gutes ausser man tut es“.


Also liebe Männer, macht lieber mal Zwiegespräche, sonst erlebt ihr vielleicht noch euer blaues Wunder! Aber vielleicht gilt das auch für euch, liebe selbst- und bewusstseinsentwickelte und so viel menschlich bessere moderne Frauen?

Jetzt muss ich aber los. Erst schnell zum Friseur ( mal schauen, ob Hans es bemerkt, bestimmt wieder nicht) und dann in die Praxis.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, vielleicht mit einigen Sätzen zu Ihnen wichtigen Personen über das, was Sie bewegt. Am besten mit in-die-Augen-schauen dabei. Mal so zum Starten.


Heidi Baitinger