Horst-Eberhard Richter

Noch ein Toter. Horst-Eberhard Richter.


Er war - wenn meine Geschchtsschreibung nicht vollkommen falsch ist - der erste, der in Deutschland Familientherapie betrieb. Er hat das Buch "Eltern, Kind, Neurose" geschrieben, in dem er eine breitere Schicht der Bevölkerung auf die Problematiken, die sich aus spezifischen Formen der Eltern-Kind-Beziehung ergeben können, hingewiesen hat.Und er hat mit seinem Buch "Patient Familie" als erster dafür plädiert, eine größere, soziale Einheit - die Familie - an Stelle des Individuums als therapiebedürftig zu definieren.


Dass dennoch weitgehend Helm Stierlin als Begründer der Familientherapie in Deutschland angesehen wurde, hat die Beziehung der beiden immer belastet. Das führte zu einer gewissen (milden, stilvoll agierten) Rivalität der beiden, die sich unter anderem darin zeigte, dass sie sich gegenseitig das Personal abwarben. Ingeborg Rücker-Embden war erst bei Richter, dann bei Stierlin, Michael Wirsching war erst bei Stierlin, dann bei Richter, und auch mich hat Richter mal aufgefordert, mich um eine Professorenstelle in seinem Gießener Zentrum zu bewerben (was ich aber nicht tat, weil ich zu der Zeit für ein paar Monate in der Südsee war und das Schreiben erst bei meiner Rückkehr fand, als die Stelle schon längst besetzt war).


Diese Rivalität war aber nicht nur persönlich begründet, sondern die beiden standen auch für unterschiedliche Entwicklungslinien der Familientherapie. Richter blieb den psychoanalytischen Grundlagen treu, Stierlin wandte sich den systemischen Modellen zu.


Heute kennt kaum noch jemand von den Jüngeren den Namen Horst-Eberhard Richter. Aber in den 70er Jahren war er so etwas wie ein Popstar, denn er war eine der Ikonen der Friedensbewegung. Er gründete eine Ärzteorganisation gegen den Atom-Krieg, er äußerte sich in Funk und Fernsehen zu tagespolitischen Fragen. Und das tat er immer sehr gelehrt und dennoch engagiert und radikal. Einer der Intellektuellen, die damals Einfluss in der/ auf die Öffentlichkeit hatten.


Vor zehn oder elf Jahren kam ich mal in einem Gespräch mit meinen Assistenten in Witten auf Richter zu sprechen: Keiner von ihnen hatte seinen Namen je gehört.


So schnell geht das mit dem Vergessenwerden (selbst wenn man mal Spiegel-Titelbilder geschmückt hat).


Obwohl ich persönlich mit ihm nicht so zurecht kam: ein schwerer Verlust (nicht nur für die psychoanalytische Szene) ...