Himmel und Erde mit Luft verteidigen

Ich versuchte gestern, liebe Leserinnen und Leser, vor dem Hintergrund und der Philosophie des Aikido. den modernen Samurai für das Jetzt zu entwerfen.


Aikido zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es geeignet ist, den Kampf mit dem Egoanteil des Ich, aufzunehmen. Es erlaubt auf der Matte umzusetzen, was im Inneren nachwirkt und sich schließlich mit Kraft, mit Ki im Leben auswirkt.


Als Samurai des Selbst auf diese Weise sowieso immer schon zu ex-sistieren, kann dazu führen, ein bewusster Samurai des SELBST zu werden. Wir tragen diese Sehnsucht zur qualitätvollen, nachhaltigen Selbst-Gestaltung in uns.


Heute will ich über das Schwert schreiben, das heißt über die „Seele des Samurai.“

Über das Schwert kann man nicht schreiben ohne über den Menschen, ohne über sich selbst zu schreiben. Das Schwert ist sozusagen eine Extension des Menschen. Waffe und Symbol zugleich.


Eng damit zusammen hängen drei andere Symbole, die im Westen, wie im Osten annähernd dieselbe Bedeutung haben:

Es sind Kreis, Dreieck und Quadrat. Der Kreis steht grob gesagt für „Himmel“. Das Dreieck für „Mensch“ und das Quadrat für „Erde“.


Kreis, Dreieck und Quadrat sind mathematisierende, geometrisierende Symbole der Alchimie, die dort für diese Unterscheidung stehen, wobei in der Alchimie beim Dreieck das Aufrechtstehende unterschieden wird und das Männliche und das Feuer symbolisiert und das nach unten zeigende Dreieck das Weibliche und das Wasser bezeichnet.


Diese abstrakte Dreiheit ist auch im Osten mit tiefer Symbolik aufgeladen.

Es gibt eine für uns höchst ungewöhnlich anmutende Kalligrafie des Zen Meisters Sengai Gibon (1750 – 1838) welche die geometrischen Formen Quadrat, Dreieck Kreis als krude Tuschezeichnung mit sicherem, kräftigen Pinselstrich zeigt. Die Kunst des Zen ist ja äußerer Ausdruck des inneren Lebens der Kontemplation, ein Bild der erwachten Seele unddes Geistes. Jede solche Illustration ist eine Form der Meditation, die Klarheit mit Einfachheit verbindet, als direkte Reflektion der spirituellen Wachheit des Künstlers. Die Kunst des Zen umfängt den Betrachter seelisch-ganzheitlich, sie lehrt nicht informativ zu „schauen“, sondern zu hören und zu sehen.

Es umfasst ganz unterschiedliche Künste, die das gesamte Leben durchgestalten und vergeistigen: die Kunst der Teezeremonie, der Kalligrafie, des Blumensteckens, des Puppenspiels, des Gartens - gleichermaßen wie die Kunst des Schwertes ( dazu Näheres in meinen Artikel über das Schwert () und hier schließt sich auch unser Kreis.


Die Dreiheit von TEN, CHI, JIN hat auch Bedeutung für die japanischen Martial Arts. Für das Aikido hat Morihei Ueshiba diese Trinität des Zen so übersetzt:


„Das Dreieck repräsentiert die Erzeugung von Energie und Initiative; es bedeutet die zentrierte, geerdete Körperhaltung (stable posture). Der Kreis symbolisiert die Einheit (unity), die gelassene Heiterkeit (serenity) und die Vollendung (perfection); er ist die Quelle unbegrenzter Möglichkeiten (techniques). Das Quadrat steht für Form und Festigkeit (solidity), die Basis für angewandte Kontrolle (applied control).“


Ich empfinde finde diese Definition bezeichnet die Dreiheit der Ersten Unterscheidung auf poetische und klare Weise.


AIKIDO ist vordergründig eine Kampf-Kunst mit und ohne Schwert, immer auf das Schwert bezogen. Hintergründig ist es überaus geeignet die Auseinandersetzung mit dem Selbst, vor allem den Kampf mit dem Ego, auf effektive Weise zu gestalten


IAIDO ist die Kunst des Schwertziehens und Schneidens. Man übt es für sich, ohne Partner, anhand umfangreicher Übungssequenzen und unter Anleitung des Instruktors mit einem Übungsschwert (*Iaito*). Man lernt im *Iaido* das Schwert richtig zu ziehen. Man zieht es in einem formvollendeten, kraftvollen, geschmeidigen und lautlosen Akt, mit der Vorstellung eines Gegners vor sich. Man vollführt den einen oder mehrere bestimmte Schnitte in der Luft und versorgt anschließend das Schwert mit einem ebenso formvollendeten, eleganten und lautlosen Vorgang wieder in der Saya. Es ist ein sich variationsreich wiederholender, meditativer, energetischer Vorgang, bei dem komplexe Abläufe koordiniert werden müssen und der Übende allmählich mit seinem Schwert eins wird. IAIDO ist eine Meditationbei deren Übung der Schwertkampf und seine Formen klar begreiflich werden.


Für die Kamiza (Bildparavent) in unserem neuen Dojo ersuchten wir 2003 einen japanischen Kalligrafen, eine Tuschezeichnug für das Zeichen für IAIDO zu machen. Wir hatten es noch nie abgebildet gesehen und keine Vorlage. Herr Nagano, der selbst keinerlei Kampfkünste betreibt, „übersetzte“ sich das Wort in drei japanische Zeichen und nannte uns deren metaphorische Bedeutung, wie er sie verstanden hatte:


Er übersetzte IAIDO, das man, wie jedes japanische Zeichen, vielfältig übersetzen kann, mit der Metapher:


„Himmel und Erde mit Luft verteidigen.“


Er schrieb eine Kalligrafie mit den entsprechenden Zeichen.

Seine kreative Interpretation, aus dem Stand heraus, hatte mich überrascht:


Das „Schwert der Unterscheidung“ saust ja tatsächlich, metaphorisch gesprochen, durch die „Luft“ und teilt den Raum in „Himmel“ und „Erde“ - In Leben und Tod, Einatmen und Ausatmen, Tag und Nacht, Gott und Teufel...


IAIDO repräsentiert die Triplizität und Trinität von der oben die Rede war in reiner Form:

„Himmel (Kreis) und Erde (Quadrat) werden durch „Luft“ (Nichts, die Leere) „verteidigt“ und zwar durch den „Menschen “ (Dreieck).


Hier ist ein einfaches Bild gezeichnet, in dem man schon sehen kann, dass der Mensch (der Beobachter) die maßgebliche trennende Rolle spiel, in der (Unter) Scheidung des Himmels von der Erde.


Das (vom Menschen gezogene) „Schwert des Wortes/des Urteils“ spaltet den *Soku hi* Modus, den potentiellen Schwebezustand des Gegensätzlichen, die gegebene Kontingenz, in zwei widersprüchliche Aspekte und bezeichnet jeweils immer nur eine Seite davon.


Die Beobachtungen, die mit dem Schnitt erst wahrnehmbar werden und zu Zuständen, deren Bezeichnungen, Behauptungen, Abgrenzungen und deren Beschreibungen werden und damit zu Fakten werden, materialisieren sich, je mehr sie beobachtet, unterschieden, behauptet, besprochen und beschrieben werden...zum Beispiel als Teilchen und/oder Wellenzustand...


Der „Heisenberg-Schnitt“ bezeichnet so gesehen den ganz ähnlichen Vorgang in der Physik, genau genommen der Quanten-Physik resp. deren (imaginäre) Mathematik. Kurz gesagt: Eine Messung (Beobachtung) ist ein Schnitt durch den *unus mundus* (Jung/Pauli) und erzeugt damit überhaupt erst den Zustand, beziehungsweise das Faktum.


Das „Schwert als Waffe“ erlaubt die schärfste Form der Diskriminierung, der Abtrennung und Abgrenzung. Sie führt zum Tod des mit diesem Abscheidungs- beziehungsweise Unterscheidungswerkzeug Getroffenen. Es kann zur Bestrafung dienen, zur Verteidigung, zur Rache, zum *seppuku*. Es dient der Selbst-Behauptung oder auch der Selbst-Auslöschung. (Wie das Wort auf seine Weise)


Schwert, Wort und Messung.

Sind drei Handlungs-Systeme die, was das schneidende, trennende Werkzeug betrifft, uns zu drei unterschiedlichen Formen der Diskriminierung dienen:


Das *Schwert* ist eine eindeutige Extension klarer Körpersprache. Es dient der Selbstbehauptung.


Das *Wort, der Begriff, das Urteil* ist im Menschen, in der Sprache der fleischgewordene Logos. Er dient beidem. Das Wort dient der Selbstbehauptung. Es dient dazu eine Unterscheidung zu treffen, denn eine Unterscheidung existiert erst, wenn sie bezeichnet ist. Es dient somit zugleich dem Weltschöpfungsvorgang: Die Welt spaltet sich, durch ihre Unterscheidung in sich in zwei Seiten, ...in order to see itself.


Die Messung nützte ein paar Jahrhunderte lang effizient den normalen Naturwissenschaften, sie betreibt die Mathematisierung der Füllen (Husserl), zur rationalen, messenden Erfassung des Schöpfungsvorganges.

Aber Letztere, die Messung, enthält seit der Erfindung der Quantenphysik etwas Entscheidendes Anderes: mit der Quantenphysik wird auch offenbar, dass wenn im Gehirn klar Quantenereignisse nachgewiesen, werden, woran ständig geforscht wird (Eccles, Penrose; u.a. sowie der Didaktiker der theoretischen Physik Thomas Görnitz, der sich mit den Ergebnissen dessen beschäftigt, was Quanten als Information bedeuten) auch deutlich wird, dass wir durch Wahrnehmung, Absicht und Aufmerksamkeit, (den wesentlichen Merkmalenvon Kognition), unentwegt (unbewusst und bewusst) Messungen (wahrnehmende Beobachtungen/bezeichenbare Unterscheidungen) machen und ihre augenblicklich sichtbare (messbare) Materialisierung (Realität) herbeiführen:


Eine wissenschaftlich nachweisbare, gemeinsame (!!!) Konstruktion der Welt im HIER und JETZT, durch unsere (gemeinsame auch einsame) Aufmerksamkeit, Focussierung, Wahrnehmung und Absicht, *kann dazu führen*, für unsere Fokussierungen, Wahrnehmungen, Absichten und gerichtete Aufmerksamkeit schließlich die volle Verantwortung zu übernehmen.


Dass im Gehirn Quantenereignisse stattfinden können, wird in der Mainstreamforschung geradezu vehement bestritten (Gerhard Roth). Sie erachtet es für unmöglich, auch der Konstruktivismus, selbst der radikale, da das Auge, das sieht, sich beim Sehen nicht selbst sehen kann, das Gehirn sich bei seinen Operationen nicht selbst beobachten kann. Oder Physikalisch: weil das maßgebliche Gesetz der Physik, das Energieerhaltungsgesetz nicht eingehalten werden kann. (letzteres hat übrigens John C. Eccles als erster bestritten und in seinem letzten Werk mittels differenzierter Forschungsergebenisse erfolgreich nachzuweisen versucht.)


Das hier Erörterte scheint mir im Zusammenhang des *Schwertes*, des Symbols der Abtrennung und Trennung und des klaren Schnittes und angesichts der martialischen (!) imaginären Unterscheidungsformel der *Gesetzen der Form*, die mathematisch darstellen, wie eine Unterscheidung getroffen wird, nämlich indem man sie trifft, hypothetisch gesagt werden zu können. Das hier nur aus einem anderen Blickwinkel des Handlungs-Systems her Angerissene, ist Inhalt meines Buches. Es wurde hier, vor dem Thema und Hintergrund der Martial Arts und des Aikido, als einem hochkarätigen Werkzeug der Selbst-Bildung der Selbste, weiter präzisiert.


Wenn Gesellschaft zu Befürchtungen Anlass gibt, die so Luhmann, nicht abgelehnt werden können, dann halte ich es für umso interessanter, dass wir in der Umwelt von Gesellschaft diese Befürchtungen nicht Gebetsmühlenartig wiederholen und zu ständig neuen Fakten machen. Wir können vielmehr frei darüber nachdenken und darüber diskutieren, von unserer Möglichkeit des Andersseins Gebrauch zu machen...Lernen III und IV nach Bateson


Morgen möchte ich über weitere politische Implikationen des Aikido schreiben und über die möglichen Erkenntnisse des Aikido hinsichtlich individueller Beziehungen.