Heuchelei als Fortschritt? - Na sowas!’

Gerade habe ich in den Nachrichten ein weiteres Mal von dem Beschluß des US-Kongresses gehört (könnte auch ein anderes Verfassungsorgan gewesen sein), Folter etc. künftig abzulehnen und nicht ein zu setzen (Einigung McCain/Bush). Eigentlich ist das gegenüber verschiedenen internationalen Abmachungen sowie einiger früherer verbaler Erklärungen nichts Neues. Andererseits ist es sehr wohl etwas Neues, denn just in den letzten 1-3 Wochen habe ich in verschiedenen Diskussionsrunden im Fernsehen noch einige Vertreter der amerikanischen Administration oder sonstiger regierungsnaher Organisationen erlebt, die versuchten, Folter positiv zu rechtfertigen.


Nun wird im gleichen Zusammenhang häufig der Vorwurf der Heuchelei erhoben, durchaus zurecht, wie ich meine. Aber dabei wird leicht eine grundlegende Bedingung übersehen. Ich werde sie vielleicht etwas drastisch aufzeigen: Im Mittelalter wurde praktisch gefoltert, UND Folter war erklärtes Programm. Zunächst war die Sache also lange Zeit 'einfach', man hat getan, was man kommuniziert hatte und fertig. Heute ist die Situation bei weitem nicht mehr so einfach. In den westlichen Demokratien ist es kaum jemandem möglich, positiv für Folter aufzutreten, ohne sich gleichzeitig von der Gesellschaft auszugrenzen, bzw. ausgegrenzt zu werden. Wenn man es nicht beim Kommunizieren beläßt, gar tatsächlich foltert, drohen strafrechtliche Sanktionen.


Wenn heute eine der westlichen Regierungen foltern lassen will, muß sie heucheln, anders geht es nicht. Damit ist aber ein Widerspruch in das System gepflanzt, der durchaus störend ist, für die Intention. Die Sache wird dadurch instabil, weil z.B. eine freie Presse ggf. die Heuchelei auffliegen lassen kann, darüber kann auch mal eine Regierung stürzen.

Zweitens wird die internationale Kommunikation durch einen Unterschied bezüglich Kommunikation/Taten bedroht, ein Phänomen das zwar meist unterschätzt wird, zumal von einer so großen Macht wie sie die USA darstellt, trotzdem entstehen Probleme, denen sich auch solche Machthaber in ihrem mühseligen Herrscher-Alltag stellen müssen.

Und zum dritten wird die unterschiedliche offizielle Kommunikation zur internen auch durch interne Kräfte bedroht. So haben ehemalige CIA-ler nicht selten dazu beigetragen, bestimmte Praktiken auffliegen zu lassen und die entsprechenden Vorhaben dadurch zu schwächen.


So gesehen kann man sagen, Heuchelei in Bezug auf Folter ist Ausdruck eines Fortschritts in Richtung höherer Komplexität. Das was im Mittelalter noch eine einfache und klare Angelegenheit war (ich vereinfache sicherlich), ist mittlerweile in der westlichen Welt wesentlich durch 1. Demokratische Regierungsform und 2. Gewaltenteilung und 3. Freie Presse einem deutlich komplexeren Gebilde gewichen.


Nun könnte man einwenden: Es ginge doch um das, was getan wird, egal was geredet wird, und verschwiegene Folter sei die gleiche wie die offen proklamierte. Aber genau das stimmt nicht. Zwar ist die 'Notwendigkeit' zur Heuchelei kein 100%iger Schutz gegen Folter, aber das Ergebnis ist eben doch eine ganz andere gesellschaftliche Dynamik, die vor allem von Menschen genutz werden kann, die gegen Folter auftreten. Von daher erklärt sich auch der recht große Aufwand, der us-amerikanischen Rechten, um die kommunikative Bewertung von Folter in der Gesellschaft zu ändern. Es ist offenbar nicht gelungen. Das ist sehr wichtig, selbst wenn aktuelle Folterungen auf Guantanamo usw. nicht verhindert werden können.


So, das sind so meine Gedanken dazu. Es hat mich gefreut, mal wieder über soetwas ein wenig konsequent nach zu denken.

Mit herzlichen Grüßen ins Blog, ins All, und überhaupt

Peter Schlötter