helnwein

Guten Morgen, guten Tag, guten Abend


Ich werde diese Woche auersystemisch kehren, wann auch immer ich bei Ihnen jetzt einkehre.


Wen die Kehrwochen scheren, habe ich mich in den letzten (kehr)Wochen gefragt. Die Kommentardichte lässt noch viel Licht durch, ist sehr durchscheinend. Der Trick, mit polarisierende Themen die Kommentierungsfreude oder -wut zu provozieren, wäre ja ein verlockender Weg zu mehr Resonanz – kennt man ja aus langweiligen Seminaren. Vielleicht nutzt das ja auch, um Spuren von Erinnerung zu hinterlassen und wenn’s nur eine einzige zusätzliche Synapse in zwei bis drei noch plastisch aktiven Gehirnen wäre (plasticity of neuronal networks): Männer/ Frauen, Ossis/ Wessis, Weiße/ Starkpigmentierte, Abzocker/ Mittellose, SPD/ ??? Oder Sex? Vielleicht ein obszöner Witz?


„Wie macht man dem Menschen-Tiere ein Gedächtnis?... Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis...“ so wird Friedrich Nietzsche in einem Ausstellungskatalog zitiert. Der Katalog dokumentiert die Ausstellung von Gottfried Helnwein in Oberhausen (vorher Hannover). Helnwein, das ist der mit den Selbstbildnissen, die ihn schreiend, verletzt, bandagiert darstellen (Gabeln in den Augen....). Die Bilder von Helnwein bleiben im Gedächtnis, sie schmerzen beim Betrachten, die auf dem Bild dargestellten Körperteile tun dem Betrachter weh. Sie sind auf eine merkwürdige Weise real und surreal gleichzeitig, lösen die Grenzen von Fotografie, Malerei und Inszenierung auf: Fotografie, die im Erleben des Betrachters immer noch für das Abbild des „Wirklichen“ steht und Malerei, bei der freie Elemente und Überzeichnungen, ins emotionale Kalkül des Erlebens durch den Betrachter einbezogen werden. Was aber, wenn etwas aussieht wie eine Fotografie, durch die besondere Strahlkraft aus der Tiefe des Bildes oder die Präzision der Darstellung die Sinne des Betrachters packt - und dann Unfassbares darstellt? Wie mit den inszenierten Bildern umgehen? Es legt sich eine eigentümliche Stimmung auf den Ausstellungsbesucher, fast wie in dem Kindheitserlebnis, das Helnwein erzählt: sein nachts in das tiefe rote Licht des draußen leuchtenden Sterns der Sowjetarmee getauchtes Kinderzimmer, alles in dem Zimmer in gleicher Farbe von innen glühend, von gleichem Material, Naturgesetze aufhebend.


Körper und Stimmung des Betrachters von Helnweins Bildern werden gepackt, Bilder bleiben im Gedächtnis. Hat also Nietzsche Recht?

„Es ist nicht mein Bild, vor dem sich die Leute fürchten, sondern es sind ihre eigenen Bilder in ihren Köpfen. – Wenn es mir gelingt, den Finger manchmal an die richtige Stelle zu legen, dann habe ich das Gefühl, meine Arbeit hat einen Sinn.“ – sagt Helnwein. Aber wie sind die Bilder überhaupt in die Köpfe gekommen, das erste Bild, das Urbild, das Helnwein dann durch Fingerauflegen zum Schwingen bringt, mit dem er dann spielen kann? Hat Nietzsche Recht? Haben sich immer wieder schmerzhafte Furchen in das Gehirn gebrannt, macht das uns aus?


Ja und nein: um mit dem Gehirn überhaupt sehen zu können, braucht es bekannte Muster, muss der Einzelne als Teil der Menschheitsgeschichte durch seine Geschichte gegangen sein, sich Geschichten erzählen, Resonanzen erleben auf Wahrgenommenes.

Und dann trägt man sein Gehirn mit den vorgestülpten Augen durch eine solche Ausstellung, beobachtet sich beim Betrachten der Bilder und wundert sich über die vielfältigen Reaktion des Gehirns und der anhängenden Körperteile. Was war da vorher alles schon drin, das diese Resonanzen auslösen könnte? Welche Grässlichkeiten, Abgründe tun sich auf? Oder zeigt sich hier nur die Radikalität des Innenlebens, die ja das gemäßigte Handeln erst ermöglichen soll? Oder gehört das in die Abteilung „Nonsens“, wo Unnützes, Unbrauchbares erzeugt und auf Halde gelegt wird, um später einmal als Steinbruch oder Blumenfeld zu wunderbarsten Neuschöpfungen komponiert zu werden?


Nehmen wir einmal ressourcenorientiert das letztere an und stellen in diesem Sinne den Kehrbesen beiseite.


Gute Nacht