Hegel lesen?

Die letzte Woche habe ich fast vollständig mit dem Versuch verbracht, Hegel zu lesen und über Hegel zu lesen.


Ich bin gescheitert.


Nicht, dass mich die Themen, die ihn interessieren, nicht interessieren würden (z.B. die "Phänomenologie des Geistes"). Er beschäftigt sich mit der Frage nach Erkenntnis und Rationalität - alles Fragen, die mich ebenfalls interessieren. Aber die Prämissen, von denen er ausgeht, sind nicht meine Prämissen. Mich auf sie einzulassen, würde erfordern, mich in seine Zeit, die damaligen Lebensumstände, die "Wahrheiten" und Glaubenssätze, die zu seiner Zeit unumstritten waren usw. einzufühlen bzw., da das wahrscheinlich ja nicht geht, einzuarbeiten. Dann kommt noch hinzu, dass er Begriffe verwendet, die für mich keine Bedeutung haben (z.B. das "Absolute"). Auch hier müsste ich unendlichen intellektuellen Aufwand betreiben, um seine Schriften lesen zu können, den ich nicht zu leisten bereit bin. Vor allem aber: Die Lektüre - auch die Sekundärliteratur, die ich gelesen habe - vermittelt mir nicht die Phantasie, dass mich seine Schriften "weiter" bringen könnten (in welche Richtung auch immer).


Bei Schriftstellern, die Romane schreiben, Theaterstücke, Dramen, Tragödien etc. fällt es mir nicht schwer, auch wenn ihre Werke schon Jahrhunderte alt sind, einen Gewinn aus der Lektüre zu ziehen (natürlich ist das auch nicht bei allen der Fall, aber doch bei vielen).


Offenbar ist Literatur haltbarer als Theorie. Sie zeigt und erklärt nicht. Das Problem ist nicht, dass die Phänomene sich so geändert haben, sondern die Erklärungen.


Einige Dinge habe ich aber aus der Beschäftigung mit Hegel mitgenommen, die mir bemerkenswert erscheinen: (1) Er denkt in Prozessen (dialektischen), die strukturelle Ähnlichkeit mit der Dynamik von Prozessen haben, die sich - nach unserer heutigen Terminologie - im Medium Sinn entfalten. Hier könnte mal jemand genauer hinschauen - auch wenn ich es sicher nicht sein werde. (2) Die bekannte Definition des Dreischritts von These, Antithese und Synthese stammt nicht von Hegel, sondern von Schelling. (3) Zeitgenössische Philosophen sind deswegen oft so wenig hilfreich mit ihren Aussagen, weil sie wahrscheinlich einen großen Teil ihres Studiums damit verbringen, die Konzepte von Denkern zu verstehen zu versuchen, die in einem anderen historischen Kontext entstanden sind und daher ihre Relevanz für die Gegenwart zu einem guten Teil verloren haben dürften.


Und mir fällt schließlich noch Horst Mahler, der RAF-Aktivist, der zum NPD-Propagandisten wurde, ein. Er hat im Gefängnis Hegel gelesen - Otto Schily hat ihm sämtliche Werke geschenkt - und sieht darin die Ursache für seine Wandlung. Offenbar ist es Mahler gelungen, Hegel zu verstehen. Deswegen folgt er jetzt wahrscheinlich politischen Strategien, die vor 200 Jahren (vielleicht) nützlich gewesen wären.


(Aber ich rede letztlich als Blinder von der Farbe.)