Hallo Emptiness!

Ich hätte natürlich Grüß Gott schreiben können, aber das hätte von Ihnen auch vielfach missverstanden werden können. Ich freue mich auf die Woche und auf das Experiment, das mir nun bevorsteht, besonders aber auf Ihre unsichtbare, interessierte Anwesenheit liebe Leserinnen und liebe Leser. Über Resonanz würde ich mich freuen.


Das Rätsel, beziehungsweise die Frage, warum hier täglich so viele Menschen hereinschauen, aber sich nur wenige (manchmal sogar niemand!), an einem Austausch beteiligen, hat meine Überlegungen, was ich mit dieser meiner „Kehr-Woche“ anfangen will, definitiv beeinflusst.


Ich zum Beispiel kommuniziere gern, habe Freude am Nachdenken und Mitdenken, kann mich in vieles einfühlen, fühle mich hin und wieder verärgert, nehme manches genauer als anderes. Ich traue mich, „Fässer zu öffnen“ d.h. in ketzerischer oder unbedarfter Absicht ein brisantes Thema, ein Tabu, einen bestehenden oder eingeschlafenen Diskurs loszutreten und das Wissen, momentane Meinungen oder tiefe Überzeugungen auszuloten, Neues über alte Fragen zu lernen, um mir ein genaueres Bild zu machen, oder mein Bild (dabei dann oft auch das Bild des anderen) probeweise in Frage zu stellen.


Ich habe mich nun, gegen das Fässeranzapfen und Infragestellen, zur Einkehr auf ein Gebiet entschieden, das mich fast täglich beschäftigt und meinen Alltag begleitet – die Kampfkünste. Im Besonderen ist dies AIKIDO, das ich nun im zehnten Jahr trainiere, und IAIDO (Die Kunst des Schwertziehens und Schneidens), das ich seit drei Jahren trainiere.


Ich will hier halbwegs geordnet und mal auch ungeordnet, davon erzählen. Auch einfließen lassen, wie ich krisenhafte Phasen durchlebt und für mich einsichtsreiche Erkenntnisse gewann, wie ich das System des Aikido und seine Paradoxie allmählich zu begreifen scheine, ohne, über lange Zeit hinweg, je genau zu wissen warum ich tue, was ich da tue. Weiß ich es heute?

Aikido ist sehr, sehr "unangenehm"!


Warum habe ich überhaupt damit angefangen? Ich hatte bis dahin nie etwas davon gehört, noch gelesen, obwohl Aikido in Europa vor 15 Jahren schon weit verbreitet war. Ich sah eines Tages, offenbar als ich halbwegs reif dafür war, ein Plakat, drauf stand AIKIDO sowie Ort und Zeit des Trainings, und ich sagte, wie das manchmal so kommt, da gehe ich jetzt hin, das möchte ich lernen. Als ich an meinem ersten Training teilnahm, faszinierte mich das Kühne, Elegante und Augenfällige dieser Kampfkunst.


Alle tragen einen *Gi*, das traditionelle weiße, kimonoartige Untergewand mit weißem Gürtel. Ab einer bestimmten Graduierung (6.-1.Kiu) trägt man darüber den *Hakama*, den traditionellen Hosenrock (Leinen/Baumwolle) der Samurai und Bauern Japans, in Blau oder Schwarz. Atemberaubend erscheint und ist die Kühnheit, Dynamik und scheinbare Leichtigkeit der Encounters.


Die Rollen, vorwärts und rückwärts, die engagierte, zentrierte, schnelle Bewegung, hinauf/hinunter waren damals das, was ich am liebsten unentwegt tun wollte. Dass man, wie immer man angreift, ständig blitzschnell zu Boden geht, d.h. durch diverse Hebel, (sind sie eindeutig gesetzt ), unweigerlich zu Boden gebracht wird, (beziehungsweise durch diese effektiven Griffe umgekehrt den Trainingspartner zu Boden wirft), dass man sofort wieder steht, angreift und wieder zu Boden geht. Beides muss man lange lernen. Alles im steten Wechsel und stets von neuem. So wird man körperlich konditioniert durch die Techniken einer Kunst, die sich einem dann geistig allmählich erschließt.


Die komplizierten Bewegungsabläufe der zahlreichen Techniken verschmerzte ich gern zu Gunsten meiner Begeisterung für die Art der Bewegung, für das Gefühl einer neu zu gewinnenden, Zentriertheit, Beweglichkeit und unreflektierten Plötzlichkeit. Außerdem wiederentdeckte ich: als kleines Mädchen hatte ich gern gebalgt, gerangelt und gerauft und konnte dieser später vernünftigerweise eingestellten kindlichen Obsession nun in gehobenen und ritualisierten Abläufen frönen...


Im letzten Jahr meines damaligen Studienaufenthalts in Wien trainierte ich also 1 Jahr lang Aikido einmal, maximal zweimal die Woche. Durch den Ortswechsel und zurück in Dornbirn sollten 3 Jahre vergehen, bis ich ein passendes *Dojo* (Trainingsraum) fand und erneut damit anfing. Es folgten 7 Jahre Training, nun an mehreren Tagen in der Woche, in sämtlichen örtlichen *Dojos*, mit leicht voneinander abweichenden Stilen.


Vor nun genau drei Jahren jedoch passierte mir/uns etwas wirklich Phantastisches: es bildete sich eine kleine begeisterungsfähige Gruppe um zwei engagierte "Dojo-Dissidenten", unseren zukünftigen Trainern, die sich vom örtlichen, eher beliebig, unverbindlich und entschärft praktizierten Aikido dezidiert trennen wollten, nachdem sie zuerst in Birmingham und nach dem britischen Gegenbesuch in unserem damaligen Dojo ein klares, direktes, effektives, „martialisches“ Aikido, verbunden mit Waffentraining, kennen gelernt hatten. Dieses Aikido wird vom, bereits bei Lebzeiten legendären Chiba Sensei (63), einem Schüler von Morihei Ueshiba, dem Begründer des Aikido, in direkter Linie gelehrt. Wir sind Mitglieder seines Birankai Europe geworden, assoziiert mit dem British Aikikai und dem Ei O Kann-Dojo von Tony Cassells in Birmingham und dies bedeutet, dass wir vier mal im Jahr mehrtägigen Besuch aus Großbritannien haben und von Tony Cassells (*Shihan*, 6. DAN), einem Schüler von Chiba Sensei, direkt und ganz persönlich gelehrt werden, was eine große Ehre ist.


Wir gründeten also im April 2003 ein neues Dojo welches zu 50% auf dem Training der traditionellen Waffenarbeit (Schwert/Stock und Iaido (Kunst des Schwertziehens und Schneidens)) und der waffenlosen Body Art basiert und sich damit an der Praxis des Begründers orientiert.


Soviel zu meiner Hintergrundsgeschichte, die zu erzählen, Ihnen meine persönlichen Intentionen und das Umfeld in dem sie sich entfalten können zur Kenntnis bringen. Mit dem bisher Gesagten ist natürlich noch nichts, aber auch schon gar nichts, über Aikido gesagt. Damit will ich morgen beginnen.