Gute Vorsätze und freier Wille

Liebe Freundinnen und Freunde des Auer-Blogs,


Ihnen allen ein gesundes und frohes neues Jahr! Ich freue mich, dass mir die Ehre zuteil wurde, in der ersten Kehrwoche 2006 den Besen zu schwingen und übernehme diesen gerne von Ihnen, lieber Herr Caby, der Sie das am Neujahrsmorgen so ungewöhnlich gut ausgeruht tun konnten - nicht ohne Ihnen einen angenehmen Urlaub in den Schweizer Bergen zu wünschen. Viel Spaß im Schnee und überhaupt!


Der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert, sagt man, was allerdings niemanden hindert, besonders zum Neujahr es stets aufs Neue zu versuchen. Man nimmt sich eben einiges vor und der Jahresbeginn ist dafür ein markantes Datum. „Fangen Sie an. Gleich morgen früh“, sagte die Bundeskanzlerin (oder so ähnlich) in ihrer Neujahrsansprache am Silvesterabend zu uns Bürgern, damit es aufwärts gehe mit Deutschland.


Nun gab es im vergangenen Jahr eine heftige Kontroverse um den freien Willen des Menschen. Bestimmt er, oder bestimmt „es“, nämlich das Unbewusste im Gehirn seines Besitzers, was sein Herr tut? Ist Sigmund Freuds bahnbrechende Theorie jetzt mit Hilfe der modernen fMRTs (funktionelle Magnetresonanztomographen) belegt?


Ein ebenso beliebter wie in den meisten Fällen unerreichbarer Vorsatz zu jedem neuen Jahr ist wohl der (fast) aller Raucher, ihr Laster aufzugeben. Nur ein paar Wenige halten sich angesichts unwiderlegbarer statistischer Werte noch immer an flotte Sprüche wie: „Geräucherte Ware hält sich länger.“ Der große Rest versucht es unverdrossen mit guten Vorsätzen. 40000 Tote infolge des Rauchens in Deutschland jährlich, mehr als das Zehnfache der Verkehrsopfer sind ja auch ein starkes Argument. Dazu die massive Erhöhung der Tabaksteuer, die das „Rauchopfer“ erheblich verteuert. Nichts hindert die Süchtigen ihrer Sucht treu zu bleiben, auch nicht gute Vorsätze. Ist das also ein Beispiel dafür, dass der Mensch keinen freien Willen hat? Dagegen spricht die Tatsache, dass ein paar Wenige es doch immer wieder schaffen. Aber wie gelingt es ihnen? Und (noch wichtiger) wie könnten es viele schaffen?


„Die besten Reformer sind diejenigen, die bei sich selbst anfangen“, schrieb Georges B. Shaw. Ich habe es getan. Vor genau 50 Jahren habe ich angefangen aufzuhören, deshalb schreibe ich hier gerne darüber. Zuerst hat es geklappt - für ein knappes Jahr. Irgend ein Anlass und der Gedanke, man könne ja jetzt entwöhnt „ein wenig“ rauchen, war das vorläufige Ende meines Nichrauchertums. Damals war das Wissen um die Suchtsteuerung im Gehirn noch nicht verbreitet. Jedenfalls nicht bei mir. Die praktische Erfahrung damit war um so heftiger. Nach kurzer Zeit war die alte Dosis erreicht. Der Erfolg war also von kurzer Dauer. Mehrere Versuche folgten. Aber erst 1968 bekam ich die Sache wirklich und endgültig in den Griff und zwar nicht über einen Neujahrsvorsatz, sondern durch einen plötzlichen, aber bedingungslosen Beschluss: Ab jetzt rauche ich nicht mehr. Endgültig. Ein Willensakt und die lange gewachsene Vorstellung vom Wert für die Gesundheit und den Geldbeutel. Plötzlich waren die Gründe stark genug, jedwede Lust auf Rückfall, ja sogar den Gedanken daran sofort zu tilgen. Seitdem weiß ich, dass das Aufhören nicht eine Sache von allmählicher Gewöhnung durch Reduzierung der täglichen Dosis oder eines irgendwie gearteten guten Vorsatzes, sondern die des Bruchteils einer Sekunde ist, den es für einen unumstößlichen Beschluss braucht: Nie wieder! Die buchstäblich wilde Entschlossenheit zu einem neuen Leben ohne Rauchopfer.


Seitdem denke ich: Es gibt einen freien Willen und es gibt keinen freien Willen und beide sind in meinem Kopf. Den Unterschied macht vielleicht die Bewusstseinsebene, auf der das Handeln bestimmt wird. Ich denke, es muss da im Gehirn eine Ebene geben, auf der dem Menschen der freie Wille zur Verfügung steht, wie auch immer das geht. Es mag ja auch sein, dass es für unterschiedliche Funktionen strukturell unterschiedliche Abläufe gibt. Wenn etwa das Furchtsystem bei Gefahr vor dem eine Handlung kontrollierenden Bewusstsein informiert wird, so dass der Bedenkenträger da oben gar keine Gelegenheit hat, den Lebensretter zu behindern, dann ist es ein Segen fürs Überleben und den evolutionären Erfolg der Spezies Mensch. Aber kann daraus der Schluss gezogen werden, dass es daneben keinen Raum für freie Willensentscheidungen gibt? Joseph LeDoux hat die Theorie aufgestellt, es gebe nicht ein limbisches System, sondern eine ganze Anzahl dort nebeneinander arbeitender Systeme mit verschiedenen Aufgaben. Ich denke nicht, dass da bereits alles geklärt ist. Die eigene Erfahrung mit der Wirksamkeit einer eindeutigen Willensentscheidung jedenfalls bestärkt den Glauben, dass es irgendwo im Kortex auch die Instanz des kontrollierenden freien Willens geben muss.


In diesem tröstlichen Sinne wünsche ich allen Lesern des Carl-Auer-Blogs ein an guten Vorsätzen, besonders aber an guten Erfahrungen reiches neues Jahr 2006. Und wenn gerade Sie vorhaben, endgültig das Rauchen aufzugeben, dann wünsche ich Ihnen alles Gute dazu und verspreche Ihnen gleichzeitig, dass ich gerade Ihnen morgen einen guten Tipp gebe, wie es vielleicht besser als bisher funktioniert. Toll fände ich aber auch, wenn andere es mir gleich täten und hier zum Segen der Menschheit ihr kleines (oder großes) Geheimnis verraten, wie sie es geschafft haben, die Freiheit vom Glimmstängel zu erlangen. Damit nicht nur ihre eigene, sondern die Gesundheit aller Menschen in unserem Land voran kommt. Ich versuche also die Anregungen von Frau Merkel zu konkretisieren und an einer Stelle in die Tat umzusetzen. Machen Sie mit? Auf das Motto „Geht-Nicht-Gibt’s-Nicht“ Frau Merkels aus dem Wahlkampf komme ich im Laufe dieser Woche noch zurück.


Herzlichst

Horst Kasper