Grundsätzliches zum Depressionsbarometer

Fritz Simon hat in seiner Kehrwoche sich umfänglich über das Depressionsbarometer geäußert und dafür Kritik insbesondere im Methodischen erfahren. Mir ging damals schon durch den Kopf, daß ich diese Kritik etwas grundsätzlicher anlegen würde, das soll im folgenden geschehen:


Zunächst ist die Frage, ob mit dem Begriff "Depression" das gemeint ist, worum es den Erfindern dieser Öffentlichkeitsaktion geht. Wenn ich das recht verstanden habe, geht es ihnen darum, ein Zeichen gegen die allgemeine Verzagtheit im Lande zu setzen. Statt dessen wählen sie den Begriff "Depression", medikalisieren damit das Ganze und entziehen das Thema somit dem außerfachlichen Diskurs (wenn auch zuzugestehen ist, daß "Depression" heute ein Allerweltswort ist).


Wichtiger ist der nächste Punkt: Fritz Simon war es ja auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die bisherigen Ergebnisse des Depressionsbarometers ein erstaunliches Maß an Depression zeigen, Methodenprobleme einmal außer acht gelassen (wobei die Ergebnisse ja auch durch verschiedene Tricks noch ein bißchen aufgemotzt werden können, wie die sich nicht so verstehenden Hacker demonstriert haben). So entsteht die Gefahr, daß das Depressionsbarometer zum Teil dessen wird, was die Initiatoren beklagen: Sie klagen darüber, daß die Leute so viel klagen.


Also nun mein Vorschlag: Ich würde das Depressionsbarometer in sein Gegenstück umkehren. Es müßte dann umbenannt und aus der Medizin-Ecke herausgeholt werden, denn ein "Manie-Barometer" würde sicher nicht auf größeres Verständnis treffen. Also müßte man einem Verzagtheitsbarometer ein Optimismus-Barometer entgegenstellen. Ähnlich, wie heute in der systemischen Therapie die Fokussierung auf Beschädigungen nicht mehr in Mode ist, statt dessen ist man ja eher ressourcenorientiert, notfalls auch "gnadenlos".


Nun noch zu Tom Levolds Kommentar von gestern. Erstens, danke für den Tip, das Grimm'sche Wörterbuch bei 2001 zu erstehen. Und dann zur Frage, warum denn Wenders' Film "Don't come knocking" so schlecht sei. Ich bin kein Cineast und mache mir nur so meine privaten Gedanken, und dabei kommt heraus: Erstens geht auf die Dauer der Hauptdarsteller, also Sam Sheperd, auf die Nerven, der durch entsprechende Kamerafahrten (um ihn kreisend) so als Solipsist inszeniert wird, bis es der letzte Depp gemerkt hat. Ich will aber nicht als Depp behandelt werden, auch im Kono nicht. (Vgl. als Gegenstück bzw. als Beleg dafür, daß Sheperd als Drehbuchautor wie als Schauspieler erheblich mehr zu bieten hat, den Film "Fool for love"). Gleiches gilt für die Ironisierung der Marlboro-Werbebilder: auch hier fühlt man sich als Zuschauer wie ein Depp behandelt, der mit der Nase auf das Augenfällige gestoßen werden muß. Dann die Geschichte: Die Figuren stimmen einfach nicht, bis auf den Versicherungsvertreter und die Mutter des Protagonisten. Stark auch der Auftritt des Sohnes, wenn sich Wenders auch nicht entscheiden kann, ob er aus ihm einen Countrymusiker oder einen Hardrocker machen soll. Wahrscheinlich versteht er nichts von Musik. Im Kundenblatt der Deutschen Bahn, das in den Zügen herumliegt, behauptet Wenders, das sei sein erster Film, der aus der Perspektive von Frauen erzählt sei. Da muß man als Zuschauer erst einmal darauf kommen. Und schließlich hängt die aus dem Nichts auftauchende, aber wie ein running gag durch den Film stolperende und dem Protagonisten bis dato unbekannte Tochter herum wie ein Schluck Wasser in der Kurve, keiner weiß, woher und wohin. Und gänzlich unmotiviert ist, warum Sohn, Halbschwester und Freundin des Sohnes mit Opas altem Auto fröhlich wie in einer Pepsi- oder Becks-Bier-Werbung durch die Prairie fahren.


Ansonsten: Ich kam aus dem Film in guter Laune wie lange nicht, und die halbe Nacht haben wir einschlägige Platten (v. a. ein bootleg mit Bob Dylan & the Dead) gehört - so schlecht kann der Film dann auch wieder nicht gewesen sei. Aber ich bleibe dabei: Jarmuschs Film spielt in einer anderen Liga.


Soviel für heute


Bruno Hildenbrand